ADFB6B8C-344B-4A36-ABCF-D59CD43831D3Airolo, 29.06.2021

In der Nacht hat es heftig gewittert. Das Donnergrollen, welches von den Talwänden reflektiert wird, klingt hier ganz anders. Ich hoffe, es hat sich auch soweit ausgeregnet, dass ich heute größtenteils verschont bleibe.

Nach dem Frühstück starte ich um neun Uhr. Das Packen des Rucksacks klappt inzwischen super schnell. Jedes Ding hat seinen Platz. Nichts muss gesucht werden. Nichts muss überlegt werden. Ich glaube das ist es, was man auch Minimalismus nennt.

Bei 13 Grad sind zwar kurze Hosen erlaubt, aber der Pulli ist ein Muss (für zehn Minuten). Dunkle, graue Wolken hängen am Himmel und nur hin und wieder kann die Sonne dazwischen hindurchschauen. Die Spuren des heftigen Regens letzte Nacht sind allgegenwärtig. Nicht nur, dass alle Bäume, Gräser und Wege nass sind  - auch auf den Straßen befindet sich Dreck und Steine und die Bäche sind deutlich angeschwollen und führen bräunliches Wasser.

Heute bin ich wieder mal richtig froh um meine hohen Wanderschuhe, denn es gilt nicht nur das Motto „der Weg ist das Ziel“, sondern auch „der Bach ist der Weg“.

Auf einem schönen Pfad wandere ich bergauf und dann den Hang entlang. Es muss heute Nacht auch heftig gehagelt haben, denn an manchen Stellen finde ich noch angeschwemmte Ansammlungen von Hagelkörnern. Ich liebe solche Wege!

Nach einer Stunde erreiche ich Brugnasco, welches auf einer Terrasse über dem Leventina-Tal liegt. Zwanzig Menschen leben hier - einige in den traditionellen Steinhäusern. Man kennt sich hier also…

Ich zwinge mich, eine Tasse Wasser aus dem Brunnen zu trinken, denn trotz der niedrigen Temperaturen schwitze ich schon wieder.

Bald darauf erreiche ich Altanca und bin überrascht, denn ich habe gar nicht gemerkt, dass ich über/unter der Standseilbahn Piotta<->Piora hindurch bin. Ich habe nur die Druckwasserröhren gesehen - und die Bahn muss dicht daneben verlaufen. Sie ist eine der steilsten Standseilbahnen der Welt und führt bis fast bis zum Ritom-See hinauf. Ein bisschen reizt mich ein Abstecher dorthin, aber 500 zusätzliche Höhenmeter und das bei dem unsicheren Wetter - lieber nicht.

Leider verläuft der Weg seit Bugnasco auf der sehr wenig befahrenen Straße. Bei schönem Wetter hätte man bestimmt traumhafte Sicht auf die gegenüberliegenden Berge und den Ticino (Tessin), der unten im Tal vor sich hin fließt, bevor sich sein Wasser in Italien bei Pavia in den Po ergießt. (Sollte ich irgendwann auf dem E1 in Italien wandern, würde mich der Ticino vom Ausfluss aus dem Lago Maggiore bis kurz vor Pavia begleiten).

Kurz darf ich noch mal durch hohe, ungemähte Wiesen, was für die Beine super erfrischend ist (obwohl ich es gerade gar nicht bräuchte), bevor ich das nächste Mini-Dorf Deggio erreiche. Und in jedem Dorf gab es bisher mindestens einen Brunnen mit Wasser. Das finde ich prima.

Gerade als ich Lurengo erreiche, fängt es an, mit großen Tropfen zu regnen. Muss das sein? Ich flüchte mich bei einem an der Straße stehenden Haus unter den Balkon, unter dem sogar eine Bank steht und mache Rast. Es ist auch grade Mittagszeit. Oben auf dem Balkon spielt ein Kind und ein Mann grillt regengeschützt. Einheimische gehen mit Schirm vorbei und grüßen nach oben und schauen mich seltsam an. Inzwischen regnet es richtig stark. Die Nachbarn kommen - gleiches Spiel – nach oben grüßen und mich seltsam anschauen. Ich bin sicher, dass die Familie oben nichts von mir weiss… - es ist etwas skurril.

Nach zwanzig Minuten ist der Regen vorbei. Wie wenn jemand einen Wasserhahn zugedreht hätte, hört der Regen von jetzt auf gleich auf. Ich warte noch ein paar Minuten ab und gehe weiter. Was hatte ich doch für ein Glück, dass der Regen genau an dieser Stelle einsetzte.

Weiter geht es nun auf einen wunderschönen Weg mit vielen Wurzeln und Steinen zum Teil steil hinab durch Felder mit großem Farn. Hier darf ich die Füße konzentriert setzen, denn die Wurzeln und Steine sind durch den Regen nicht weniger rutschig geworden. Etwa eine Stunde vor Osco setzt der Regen erneut ein. Ok - jetzt hilft nichts und der Poncho muss raus.

Als ich in Osco ankomme, bin ich ziemlich nass. Einerseits weiß ich nicht, wie viel Regen der Poncho durchlässt, anderseits dürfte viel auch Schweiß dabei sein, denn unter dem Poncho ist es gut warm. Ich hoffe, dass das RIstorante Marti geöffnet ist, denn es ist fast halb drei. Es wäre ja nicht das erste Restaurant, welches bis 17 schließt. Ich habe Glück und es ist offen. Ein Mann, wie man ihn hier erwartet, mit Rauschebart, schulterlangen weissen Haaren, Karohemd und grober Kordhose - ein Alm-Öhi - sitzt als einzige Person an einem Computer im Wirtsraum. Die Kommunikation ist schwierig. Er spricht kein Englisch, dafür ein paar Brocken Deutsch und Französisch und ganz bestimmt gut Italienisch. Im Reservierungsbuch steht zwar ein Andreas, aber der Nachname passt nur fast. Und es seien zwei Personen „con cane“. Über „chili con cane“ habe ich genügend Witze gemacht, dass ich ihm versichern kann, dass ich keinen Hund dabei habe. Und auch nur eine Person bin. Sehr seltsam - dabei hat doch die nette Frau vom letzten B&B extra nochmal hier angerufen. Ich versuche, ihm zu den erklärende, dass ich schon im September 2020 angerufen habe und da meint er plötzlich was von einem anderen Buch und er könne sich erinnern. Aha!

Er fragt, ob ich Abendessen möchte, und ich bejahe. Sicherheitshalber schiebe ich „sono vegetariano“ hinterher. Das sei kein Problem. Er sagt was von Polenta und Käse und Gemüse - mehr verstehe ich nicht. Wenn nur alle meine Bekannten so locker reagieren würden...

Ich bekomme Zimmer 6 und werde hochgeführt. Alt und einfach trifft es vermutlich. Wir sind Italien-nah, also ist hier das erste Bett mit Wolldecke und Leintuch, wo ich mich immer wie ein Lesezeichen fühle. Eingeklemmt zwischen Matratze, Leintuch und Wolldecke und ggf. noch einer weiteren Decke obendrüber.

Im Haus gibt es neun Zimmer, eine Dusche und je ein WC für Damen und Herren. Na toll. Aufgrund des Wetters reduziere ich die tägliche Wäsche auf das Nötigste -  nämlich auf mich - die Klamotten werden hier nämlich nicht trocken.

Mir fällt auf, dass ich gar nicht wegen WLAN gefragt habe, aber verwerfe den Gedanken. Hier muss ich vermutlich schon über Strom und fließendes Wasser dankbar sein. Da fällt mein Blick auf einen Zettel an der Tür. WIFI und ein Passwort. Und es funktioniert! Jetzt bin ich neugierig und starte gleich mal den Speedtest. 55 MBit downstream und 26 MBit upstream. Ich muss an meinen Arbeitskollegen in Mörfelden/Walldorf in der Nähe des Frankfurter Flughafens denken, der nicht mehr als 16 (oder doch 32?) bekommen kann! Da haben es die 127 Einwohner von Osco besser. Bestimmt gibt es auch Dinge, die in der Schweiz nicht gut laufen - einiges läuft aber deutlich besser als bei uns in Deutschland!

Als ich mich frisch geduscht (es gab sogar ganz kurz mal warmes Wasser...) auf das Bett lege, fängt plötzlich alles an zu wackeln. Schei...e, ein Erdbeben! Ich will grade aufspringen und mich ins Freie retten, als ich merke, dass das Beben recht rhythmisch ist und auch noch leises Maschinengeräusch vorhanden ist. Uff! Das hat Adrenalin gekostet! Offensichtlich schafft es die Waschmaschine beim Schleudern, das komplette Haus/Stockwerk vibrieren zu lassen. Und ich übertreibe hier wirklich nicht.

Als noch weitere Leute einchecken, merke ich, dass ALLES durch das ganze Haus zu hören und zu spüren ist. Ich freue mich schon auf die Nacht.

Es ist überraschend kühl (12 Grad) und in der Tat bringe ich heute meine lange Merino-Unterwäsche und die warmen (Schlaf-)Socken zum Einsatz, als ich zum Abendessen gehe. Wer hätte das gedacht!

Für alle gibt es einen gemischten Salat, Polenta, Gemüse und Sauerbraten und ein Stück trockenen Kuchen. Für mich gab es ein Stück Käse (separat) statt des Sauerbratens. Alles wirklich gut! Zum Glück hatte ich mein Vegetarier-Sprüchlein beim Check-In aufgesagt.

Die zwei kleinen Bier sorgen für die nötige Bettschwere.

 

Fazit:

-Der Teeranteil war mir für einen so gepriesenen Weg heute zu hoch. Wenn ich nochmal hier wäre und nicht dem E1 folgen „müsste“, würde ich stattdessen zum Ritom-See aufsteigen und dann von Piora nach Lurengo auf dem höher gelegen Weg wandern.

-Bei besserem Wetter macht es mehr Spaß. Wenn man bedenkt, dass es den ganzen Nachmittag und Abend regnet, habe ich noch richtig Glück gehabt.


Länge Auf Ab
17.3 km 633 Hm 648 Hm
 


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