DF1BB46C-7E2B-44F4-9D9D-2D06B4FF38E1Bellinzona, 03.07.2021

Eine Nacht, wie die letzte kann man sich nicht vorstellen! Gerade habe ich mich zur Ruhe gelegt und bin am Einschlafen, geht das Gehupe los. Stimmt - die Italiener haben ja gespielt. Offensichtlich haben sie gewonnen und da ich hier quasi in Italien bin, darf ich an ihrer Freude teilhaben. Ob ich will, oder nicht. Gegen Mitternacht wird es mir dann doch zu blöde, denn ich will ja auch irgendwann schlafen um für die Tour fit zu werden. Ich schließe das Fenster und stelle den Deckenventilator eine Stufe höher. Dieser hat die Eigenschaft, dass er auch bei höheren Stufen nicht lauter wird. Klar - er verausgabt sich schon in der niedrigsten Stufe. Auf dem iPad suche ich Meditationsmusik zum Einschlafen und stelle diese auf volle Lautstärke. Das vermischt sich mit dem lauten Gehupe des Autocorsos (besonders toll wenn eine Ampel in der Nähe ist...) und dem Geratter des Ventilators zu einem sehr lauten Klangteppich. Und irgendwann schlafe ich ein. Dass ich immer wieder schweißgebadet aufwache, muss ich nicht erwähnen. Es ist richtig warm hier.

Um vier Uhr am Samstag morgen - inzwischen hat das iPad wegen Strommangels das Gedudel eingestellt (und außer der Mikrowellen-Steckdoese, an der meine anderen Geräte laden, konnte ich keine andere Steckdose freimachen) - beginnen zwei Bauarbeiter direkt vor dem Haus mit einer Asphaltsäge die Straße aufzusägen. Ich versuche es nochmal mit der Entspannungsmusik und spiele mit dem Gedanken, jetzt schon aufzubrechen, aber ich fühle mich noch wie ein nasser Waschlappen. Und irgendwann schlafe ich dann doch ein...

Als es Zeit ist, aufzustehen, ist es draußen so ruhig, wie die ganze Nacht nicht. Kaum Verkehr und die Bauarbeiter sind auch weg.

Um kurz nach acht wandere ich los. Zuerst führt mich der Weg aus Bellinzona hinaus und nach Giubiasco. Ein schöner, mediterraner Ort, in dem in den Bars/Restaurants schon einiges los ist. Die meisten Tische sind belegt. Ist das Dolce Vita?

Hier überquere ich (mal wieder eine) Ponte Vecchio aus dem 13. Jahrhundert, die ein wichtiger Teil der Via Francisca (der Pilgerweg nach Rom) war und Bellinzona mit Monte Ceneri verband.

Ein echter Bergweg führt hinauf zur Cima di Centro auf 1005 Metern. Jeder der 780 Höhenmeter will ehrlich und ernsthaft erarbeitet werden. Der Weg macht mir Spaß, obwohl ich das Gefühl habe, nicht richtig in den „Flow“ zu kommen. Oben auf der Passhöhe ist ein großer Waffenplatz, den es zu durchqueren gilt, bevor ich den Abstieg nach Isone starte.

Isone ist ein winziges Dorf mit knapp 400 Einwohnern und hat ausser zwei Restaurants und einer Kirche wenig zu bieten. Selten habe ich eine Kirche gesehen, die innen so dunkel ist - dabei sieht sie von aussen doch hell und freundlich aus. Die andere Hauser sind eine Mischung aus Steinhäusern, allerdings mit Ziegeldächern, und zum Teil sehr farbenfrohen Häusern im mediterranen Stil.

Nun darf ich den nächsten Bergrücken besteigen, um das Vedeggio-Tal über den Gola di Lago (972 m) zu verlassen. Hierbei wandere ich eine ganze Zeit direkt über dem erst letztes Jahr eröffneten Monteceneri-Basistunnel der direkt von Giubiasca (wo ich heute morgen war) nach Vezia bei Lugano führt.

Wie ich nass, dampfend und keuchend den Berg hinaufwandere, verwechseln einige Bremsen mich mit einem Pferd - vielleicht rieche ich auch wie alter Gaul - und meinen, sie dürften mich aussaugen. Manche haben Glück, andere müssen diese Verwechslung mit dem Leben bezahlen.

Oben angekommen mache ich kurz Mittagspause. Heute habe ich auch gar nicht so viel zu Essen dabei.

Hier oben gibt viele Birkenwäldchen, durch die ich wandern darf, bevor sich der Weg in gleicher Höhe den Berg entlang zieht. Plötzlich ist es soweit - und der Luganersee liegt vor mir. Zum Fotografieren ist es zwar etwas trüb – dafür zum Wandern wunderbar. Man kann nicht alles haben.

Der Abstieg erfolgt größtenteils ganz nach meinem Geschmack über felsige, geröllige  Wege. Danach wandere ich durch die schmalen Gässlein von Bigorio und kann schon Tesserete sehen.

Hier endet die heutige Etappe. Da ich im Internet keine gescheite Unterkunft finden konnte, ist jetzt eine Busfahrt nach Lugano vorgesehen, wo ich drei Nächte verbringe. Die kurze Etappe von Tesserete nach Lugano (knapp 10 km / 2,5 Stunden) ist für morgen geplant.

In Anbetracht der Uhrzeit, des Wetters, meiner Verfassung und der schlechten Wettervorhersage für morgen, beschließe ich, diese Etappe heute noch dranzuhängen und ins Hotel nach Lugano zu laufen. Dafür ist dann morgen Entspannung angesagt.

Nachdem der Entschluss gefasst ist, gönne ich mir bei Migros eine eiskalte alkoholfreie Hopfenkaltschale und esse den Rest des Proviants auf, bevor es weiter geht.

Zum Glück hatte ich gesehen, dass es nun nochmal bergauf geht und bin nicht überrascht. Ich weiß nicht, woher plötzlich die Energie kommt, aber ich habe richtig Lust noch mal „aufzudrehen“ und meinen Körper zu spüren. Das macht jetzt richtig Spaß, hier schnell bergauf zu gehen.

Ist das ein Traum, auf dem San Bernardo zu stehen und herunter zu schauen. Lugano und der San Salvatoro direkt vor Augen zu haben. Und natürlich die ganzen anderen Orte und Berge. Es ist so phantastisch! Ich bin so froh, dass ich heute noch hier hochgewandert bin.

Ab hier ist auch Schluss mit schönen Wegen - ab Comano ist die Markierung bis hinter Lugano ausgesetzt. Es geht halt irgendwie (zu Fuß!) durch die Stadt. Dennoch genieße ich den Abstieg, denn außer dem allerletzten Stück Weg bleibt es interessant, durch die Straßen und Gassen zu wandern und Häuser und Gärten zu betrachten.

Der Check-in verläuft reibungslos bis auf das WLAN (dafür bin ich jetzt im privaten WLAN mit 150 MBit) und an dem Zimmer ist nichts auszusetzen, außer dass es von der Straße her natürlich laut ist, aber das war sowieso klar. Ich hoffe, die anderen Gäste verhalten sich ordentlich - ich habe nämlich schon sowas wie einen Junggesellenabschied aus dem Hotel kommen gesehen.

Fazit: Das war ein langer, anstrengender, aber besonders schöner Tag. Zum Ausgleich ist morgen Ruhetag.

Länge Auf Ab
31.9 km 1391 Hm 1279 Hm