B7A44511-1458-4D1A-80A9-B35386F41C4CFlüelen, 25.06.2021

Da das Bett so kuschelig warm ist und die Sonne nicht mit voller Kraft durch das Fenster scheint, beschließe ich, dass es völlig ausreicht, ein bisschen später loszugehen. Auch das neue Quartier - ein Restaurant mit Gemeinschaftsbad bei einer Seilbahnstation „in the middle of nowhere“ - lockt nicht besonders.

Ich frühstücke nicht mehr ganz frisches Vollkornbrot mit der guten Floralp-Butter. Das schmeckt! Zudem habe ich gestern auf der Suche nach Tee „Teaballs“ gesehen und gekauft. Ich hatte davon schon gehört und das als „Blödsinn“ abgetan. Aber im Rucksack trägt sich das leicht. Vom Geschmack her ist es vermutlich nicht mit einer Teezeremonie zu vergleichen, aber es schmeckt definitiv besser, als nur heißes Wasser.

So ist es also kurz nach neun, als ich meine „VIP“-Unterkunft verlasse.

Bei 14 Grad und komplett mit hellen, wattigen Wolken bedecktem Himmel gibt es keinen Grund zur Klage.

Der Weg durch das schöne Naturschutzgebiet am See, von dem es nun Abschied zu nehmen heißt, tut mir richtig gut. Die direkt in den See integrierte Kneipp-Anlage lasse ich links (bzw. rechts) liegen und überquere die heftig strömende Reuss, die mich - ab Hospental dann als Gotthardreuss - bis (fast) zum Gotthardpass begleiten wird.

Ich habe nun den „Weg der Schweiz“ verlassen und befinde mich auf dem „Trans Swiss Trail“, der mich mit Nummer 2 gekennzeichnet, hoffentlich bis an mein Ziel in Morcote begleiten wird.

Morcote liegt am südlichen Ende eines Landzipfels, der in den Luganersee reicht. Von dort muss man mit der Fähre übersetzen. Für den Trans Swiss Trail setzt man auf die Schweizer Uferseite über und hat noch eine Tagesetappe nach Mendrisio, wo der Weg  offiziell endet. Für den E1 hingegen setzt man nach Porto Ceresio in Italien über, womit klar ist, warum Morcote das für mich definierte Ende ist. Ob, wann und wie es für mich in südlicher Richtung weitergeht, ist offen. Immerhin das „von wo aus“ ist klar.

Nachdem ich nun kilometerlang eintönig der Reuss gefolgt bin, kommt Abwechslung auf. Der Weg führt steinschlaggefährdet am Hang entlang. Hier wurde für Fußgänger sogar extra ein 500 Meter langer Tunnel in den Fels gehauen. Die auf Höhe der Autobahnraststätte folgende Ryyssboogäbriggä - eine Hängebrücke über die Reuss machen es perfekt. Das war dann aber genug Abwechslung! Weiter geht es wie gewohnt.

Ich wandere vorbei am Schwerverkehrszentrum, einem gigantischen Kontroll- und Pufferplatz für den Lastverkehr. Hier wird die Verkehrssicherheit erhöht und je nach Situation der Strom an LKW gebremst und nur im Tropfensystem abgegeben. In zehn Jahren wurden hier auch Bußgelder von 80 Mio. Franken kassiert. Obwohl ich schon öfter über und unter dem Gotthard hindurch gefahren bin, ist mir diese „Parallelwelt“ bisher verborgen geblieben.

Nach zweieinhalb Stunden erreiche ich Erstfeld. Ein richtig nettes, kleines Dörflein, welches man dennoch nur aus den Verkehrsnachrichten kennt. Und auch wenn die Autobahn etwas abseits verläuft, ist ihr Rauschen omnipräsent.

Nächstes Highlight der bisher an Naturerlebnissen eher armen Strecke ist das „Erhaltung- und Interventionszentrum“ für den Gotthard-Basistunnel, der ja hier vor Erstfeld beginnt, dessen Portal ich aber nicht gesehen habe. Binnen einer Viertelstunde können von hier Rettungszüge zum Basistunnel ausrücken.

Lange habe ich es ersehnt - jetzt ist es soweit. Der Weg verlässt den Talgrund und steigt, von alten Steinmäuerchen begrenzt, den Hang hinauf, um dann dort zwischen den alten Häusern und durch den Wald entlangzuführen. Immer wieder beeindrucken mich die massiven Verbauungen, die bei Lawinen- und Murenabgängen lenken und schützen sollen. Hier ist es sicher. Hier mache mich Mittag!

Ein paar Bauernhöfe weiter riecht (nein: stinkt!) es ganz anders und noch fürchterlicher als sonst. Was ist denn hier los? Und tatsächlich flüchten ca. 30 kleine Schweine ängstlich und trotz meiner Beschwichtigungsversuche aus ihrem Auslauf in den Stall, als sie mich um die Ecke biegen sehen. Kann ich mich also doch noch auf meine Nase verlassen!

Kurz vor Amsteg nehme den Abstecher zu Burg und Bunker „Zwing Uri“ noch mit. Sie stammt aus dem früheren Mittelalter und ist ein Zeichen dafür, dass wichtige Verkehrswege schon immer bewacht wurden.

Ich erreiche den Ortsteil Amsteg, den man gut an den steil den Berg hinabführenden Druckleitungen erkennen kann. Hier ist mein heutiges Etappenziel. Das „Hotel Stern und Post“ ist eines der ältesten Hotels der Schweiz, aber irgendwie haben mich neben dem Preis auch das Ambiente und vor allem unzuverlässige, COVID-bezogene Aussagen abgeschreckt.

Ich muss nun also noch zweieinhalb Kilometer weiter, die ich morgen auch zurück muss. Obwohl der stündliche Bus gerade in diesem Moment einfährt, werde ich heute - auch weil das Wetter so gut gehalten hat - zu Fuß gehen, und zwar der Straße entlang, da über den Berg mehr als 300 Höhenmeter Aufstieg und 200 Abstieg anstehen. Darauf habe ich jetzt doch keine Lust mehr.

Das war definitiv die dümmste Entscheidung seit längerer Zeit! Das lässt sich auch nicht schönreden. Denn die alte Gotthardstraße hat keinen Gehweg und ist auch nicht übertrieben breit. An einigen Stellen war nicht einmal genügend Platz für eine Mittellinie. Die Straße ist zwar auch offiziell Radweg, aber das ist aus meiner Sicht genauso verrückt. Da ist man also auf die Aufmerksamkeit und das Fahrvermögen der anderen Verkehrsteilnehmer angewiesen - und es bleibt auch nicht die Möglichkeit für den rettenden Sprung über die (leider) zum Teil kaum kniehohe Straßenbegrenzung. Denn da geht es runter. Zum Teil ganz schön tief.

Extra Lowlight ist der zum Glück kurze Tunnel auf etwa halber Strecke, durch den ich durchjogge, als ich gerade mal keine Fahrzeuge höre. Glück gehabt! Wäre der am Anfang gewesen, wäre ich echt umgedreht...

Die Abfahrtszeit für den Bus morgen früh ist jedenfalls fest notiert!

Im Gasthaus „Schäfli“ in Intschi findet man meine Reservierung nicht (mehr), die ich bereits im September getätigt hatte. Zum Glück sind noch zwei Zimmer frei und so gibt es - da ich die Mail vorzeigen kann - ein ungewolltes Upgrade in ein etwas größeres, immer noch kleines Zimmer. Sogar mit fließendem Wasser im Zimmer. Das ist super! Dann befindet sich nur noch Dusche/WC auf dem Flur.

Auf dem weiteren Weg habe jetzt noch zwei direkt gebuchte Unterkünfte vor mir, davon eine telefonische auf italienisch-englisch. Ich muss es schaffen, mir jetzt keine Sorgen zu machen. Leicht gesagt!

Abendessen gibt es heute im hauseigenen Restaurant. Ein leckerer Salat, gefolgt von einem Sri-Lankischem Kartoffeleintopf mit Gemüsereis - der Heimat des Kochs und seine Tagesempfehlung. Der Hauptgang ist eine solche Geschmacksexplosion - definitiv das kulinarische Highlight dieser Reise! Echtes Feel-Good-Food für mich.

Und so viele der Leute essen hier riesige Schnitzel/Cordon-Bleues mit Pommes….!

Heute freue ich mich richtig auf die Etappe morgen, wenn es hoch nach Andermatt geht. Besonders auf den felsigen Bereich durch die Schöllenen mit der Teufelsbrücke.

Länge Auf Ab
22.5 km 435 Hm 228 Hm