Alcoutim, 16.04.2025

Ich wälze mich von einer Seite auf die andere. Es ist auch unter zwei Decken nicht besonders warm, doch hauptsächlich liegt es an dem Essen, dass ich so schlecht schlafe. Zu süß, zu fett und viel zu salzig – das bekommt mir nicht so gut.
Endlich schlägt die Kirchturmglocke siebenmal. Ich wundere mich, dass es noch so dunkel ist, und beim Blick auf die Uhr wird mir klar, dass es die Kirche vom anderen Ufer sein muss, die ich gehört habe. Also noch eine Stunde liegen bleiben.
Es ist so neblig-feucht, dass die Sonne beim Aufgang nur schemenhaft sichtbar ist. Ich vermute, dass heute ein feuchter Tag werden könnte. Glücklicherweise habe ich gestern wohlweislich nur die Unterwäsche gewaschen und die ist jetzt fast trocken.

Beim Frühstück habe ich eine halbe Stunde Vorsprung vor den aus Antwerpen stammenden Belgiern. Dabei tausche ich mich noch einmal mit meiner Gastgeberin aus. Dass sie erst 73 Jahre alt ist, hätte ich nicht gedacht. Vielleicht liegt es am sonnenreichen Klima, dass sie älter aussieht. Der Sohn des gestrigen Taxifahrers spricht deutlich besser Englisch und bringt mich wieder nach Balurcos de Baixo, wo ich meine kurze Wanderung um 9 Uhr starte.

Obwohl ich Hemd und Pulli trage, ist mir bei windigen 12 Grad kalt. Immerhin ist es im Moment trocken und bald wird die Sonne den Kampf mit den Wolken gewinnen.
Heute steht die kürzeste Etappe überhaupt auf meinem Plan, was mir den Mut gibt, es mit der Originalroute, genauer gesagt der nur kurzen Umgehung am Foupana-Fluss zu versuchen, statt die weiträumige Umgehung über Landstraßen zu nutzen, wie sie mein lokaler Reiseanbieter vorschlägt. Außerdem meinte mein gestriger Fahrer, dass dies seit etwa zwei Wochen möglich sei. Da ich heute bis zu meiner Unterkunft wandere und keinen Transfer mehr benötige, fühle ich mich richtig frei.

Schon nach einer Stunde strahlt die Sonne vom wolkenlosen Himmel, und ich erfreue mich der blühenden Natur. Die Blüten der Zistrosen sind vom gestrigen Starkregen etwas mitgenommen und stehen farblich so schön im Kontrast zum lila blühenden Lavendel und den vielen, verschiedenen Gelbtönen der Blumen und Büsche. Ein paar vereinzelte Vögel singen. Das Summen der Bienen. So ruhig. So schön. So friedlich.

In dem kleinen Weiler Palmeira steht eine bequeme Bank in der Sonne, und obwohl ich noch nicht müde bin, mache ich eine Pause. Im Ort wohnen nicht nur einige Hühner, sondern zumindest auch ein altes Paar. Der Mann geht nämlich gerade zum Müllcontainer und spricht ein paar Sätze zu mir. Inzwischen verstehe ich immerhin schon das Wort für „heute“ und „Regen“. Vom Wortstamm mag das Portugiesisch mit dem Spanischen verwandt sein, doch die Aussprache ist vollkommen anders.
Ich schiele schon einmal in mein Lunchpaket und finde ein Sandwich mit Omelett, Tomatenscheiben und Salatblättern. Und eine Orange. Es sieht sehr lecker aus, doch jetzt ist es noch viel zu früh dafür.

Weiter geht’s, und während Quellwolken rasant den Himmel bedecken, erreiche ich die Autobahnbrücke, die über das Foupana-Tal führt. Nun prüfe ich die im Führer angegebene Möglichkeit, mich (verbotenerweise?) durch den Zaun zu zwängen, um auf die Fahrbahn zu gelangen und über die Autobahnbrücke das andere Ufer zu erreichen. Einfach nur, um meine Optionen zu kennen. Ja – das könnte klappen, doch Lust habe ich darauf bestimmt nicht.

Da ich den Fluss „richtig“ überqueren möchte, wandere ich hinab zum Fluss und begutachte die markierte Stelle zur Flussquerung und beschließe, zur alternativen Stelle weiterzugehen. Dabei sehe ich, wo der Weg auf der anderen Seite abbiegt und das Tal verlässt. Wie auch immer ich es anstelle – dort muss ich nachher entlang. 
Ich gehe unmarkiert weiter, orientiere mich an niedergetretenem Gewächs, gelange auf eine steinige Schwemmebene und bevor es nicht mehr weiterzugehen scheint, finde ich eine Stelle, bei der das gegenüberliegende Ufer okay aussieht. Und der Fluss dazwischen auch. Nun verpacke ich meine Hose und die im Rucksack befindliche Kleidung sowie meine Schuhe wasserfest. Eine Probedurchquerung zeigt mir, dass ich knapp knietief eintauche und auch die Strömung und die Algen okay sind. Zum Glück habe ich meine Adiletten und Wanderstöcke dabei.
Am anderen Ufer trockne ich mich ab und ziehe mich wieder an. Und jetzt beginnt das Problem.
In Ufernähe ist alles so stark bewachsen, dass an ein Durchkommen nicht zu denken ist – Spuren gibt es auch keine. Ich umgehe diese Stelle, wobei es mich mehr und mehr den Berghang hinaufzieht. Die Aussicht von hier ist zwar wunderschön, doch die wilde Vegetation ist hier nicht nur schön, sondern vor allem wild. Immer öfter quetsche ich mich nun durch Gestrüpp, folge Wildspuren(?), um dann von undurchdringlicher Wildnis gestoppt zu werden. Wieder und wieder umgehe ich diese und steige den steiler werdenden Hang höher und höher hinauf, ohne meinem Ziel merklich näherzukommen. Zwar kann ich mich dank GPS und Aussicht orientieren, doch ich finde keine Möglichkeit zu meinem Weg durchzudringen. Bilder aus meiner frühen Kindheit, mit beim Wandern plötzlich endenden Pfadspuren spülen sich in mein Hirn …
Es dauert eine lange halbe Stunde, bis mir klar wird, dass ich mich hoffnungslos verstiegen habe, ich zudem alleine unterwegs bin und das Terrain, in dem ich mich bewege, objektiv nicht gänzlich ungefährlich ist. Die einzig sinnvolle Lösung liegt in der Umkehr.
Also ringe ich mich zu dieser Entscheidung durch und steige mühsam und vorsichtig wieder hinab in Richtung Fluss. Dabei entdecke ich alternative, geeignetere Stellen zur Flussquerung. Schließlich gelingt es mir sogar einen Lösungsweg zu finden, der mir eine erneute Flussquerung erspart.
Als ich endlich den markierten Weg erreiche, schlage ich mental drei Kreuze. Dankbar dafür, dass ich abgesehen von leicht verkratzten Beinen unversehrt hier stehen darf, lasse ich mich hungrig nieder. Tut das gut!

Nachdem ich mich gestärkt habe, stapfe ich nun den Hügel hinauf, passiere einige Bienenkästen und werde plötzlich von riesigen Viechern angegriffen. Ich bin völlig überrascht, denn einerseits sind diese Tiere viel größer als normale Bienen – eher so groß wie Hornissen – und Bienen gegenüber bin ich normalerweise extrem entspannt und hatte auch noch keine negativen Erfahrungen. Ich flüchte und erreiche bald die Häuseransammlung Corte Velha, die ich unter Hundegebell durchquere. Und jetzt nehme ich wahr, dass ich schon geraume Zeit gar nicht mehr bei mir bin.
Bei der nächsten Gelegenheit setze ich meinen Rucksack ab, breite meine Plane aus, lege mich hin und verweile. Ich schließe die Augen. Lausche. Atme. Finde wieder zu mir.

Das letzte Stück bis zum Zielort Furnazinhas genieße ich wieder. Im Ort sitzen an einem zentralen Ort fünf alte Menschen und scheinen zu warten. Doch worauf? Eine Szene und Gesichter wie aus dem Bilderbuch, doch natürlich kann ich sie nicht fotografieren. Ich grüße nett und einer der Männer fragt mich etwas. Ich trete näher, blicke in ein lächelndes Gesicht mit nur einem Zahn und signalisiere Unverständnis. Ich sage auf Portugiesisch, dass ich kein Portugiesisch spreche. Er kann ein paar Brocken Französisch und will wissen, wo ich schlafe. Ich gebe Auskunft und daraufhin deutet er auf einen Weg querfeldein den Hügel hinauf, denn meine Ferienwohnung, von der ich glücklicherweise die GPS-Koordinaten besitze, liegt außerhalb.
Vorbei an einem grimmig bellenden, doch trägen Wachhund folge ich dem teils verwachsenen Weg und erreiche schließlich meine Unterkunft.

Ich werde von zwei gut Englisch sprechenden Frauen empfangen und herumgeführt. Sie fragen mich nach meiner Foupana-Überquerung und erzählen dann, dass gestern ein anderer Wanderer genau das Gleiche erlebt habe.

Hier ist es wirklich sehr schön – wenn es wärmer wäre, könnte ich es allerdings noch mehr genießen.
Vor traumhafter Kulisse befindet sich ein Infinity-Pool. Obwohl das Wasser nur 16 Grad kalt ist, lasse ich es mir nicht nehmen, hineinzusteigen und ein Foto zu machen. Die Badedauer ist das Gegenteil von Infinity, und irgendwie muss ich mir noch ein Lächeln ins Gesicht retuschieren. Die Mundwinkel sind wohl eingefroren.

Nun gönne ich mir eine kurze, heiße Dusche – wasche das Nötigste und freue mich mit einer Tasse heißem Tee auf die Nudeln mit Gemüse, die man mir zum Abendessen versprochen hat. 

Länge Auf Ab
16.6 km 368 Hm 361 Hm