Alcoutim, 15.04.2025

Beim gestrigen Restaurantbesuch gelang es mir, aus Vorspeisen und Beilagen ein leichtes und schmackhaftes Abendessen zu kombinieren – denn originär gab die Karte überhaupt nichts Vegetarisches her. Und das Thunfisch-Steak, welches ich gerne alternativ gegessen hätte, war schon aus.

Ich schlafe tief und träume süß, doch, als ich morgens um 5 Uhr aufwache, höre ich draußen Geräusche, die ich ganz bestimmt nicht hören möchte. Regen. Heftiger Regen. Wieso habe ich eigentlich meine Regenhose nicht mitgenommen?
Ich kuschele mich erneut in die Federn, lasse schöne Gedanken vorbeiziehen und als ich um 7 Uhr aufstehe, überrascht mich eine wunderschöne Morgenstimmung über dem Fluss.

Zum Frühstück bekomme ich Rührei von eigenen Hühnern, rustikales Brot, Käse, Joghurt und zwei schon geschälte Orangen, die ich unbedingt mit Zimt probieren soll.
Mein lokaler Reiseveranstalter überschlägt sich bisher nicht in Organisationskompetenz, und es ist der Frau unglaublich unangenehm, dass sie heute kein Lunchpaket für mich hat. Sie zeigt mir eine E-Mail, aus der hervorgeht, dass sie sogar bei der Agentur nachgefragt hat, ob heute wirklich kein Lunchpaket nötig sei. Ich versichere ihr, dass das kein Problem sei, denn einerseits bekomme ich so viel Brot zum Frühstück, dass ich locker drei Scheiben mitnehmen kann und außerdem komme ich heute sogar an einer Bar vorbei, bei der es zumindest einen Kaffee geben sollte. Sie holt mir von zu Hause sogar noch zwei Orangen und eine schon gewaschene Tomate, die ich mitnehmen kann. Schon ziemlich perfekt.
Wir „unterhalten“ uns herzlich und ich erfahre einiges über ihre Familie, Schicksalsschläge und ihre Einstellung zum Leben auf dem Land. Obwohl mit Google Translate vieles auf der Strecke bleibt, fühle ich mich ihr nahe.

Mit dem 9 Uhr Glockenschlag beginne ich meine Wanderung, gehe zur Bootsanlegestelle, bestaune die Wandertafel und freue mich über die Sonne.
Es tut so gut, endlich loszugehen, und ich genieße es unglaublich, vorbei an zart lila blühenden Judasbäumen und strahlend weißen Häusern den Ort Alcoutim zu verlassen.

Oberhalb des Flusses wandere ich durch die Landschaft und erfreue mich des Blütenmeers aus Zistrosen und anderer mir unbekannter Gewächse. Die Vögel singen laut, doch ansonsten stört kein Ton, diese unglaublich friedliche Stille. Noch habe ich mein Tempo und meine innere Ruhe nicht gefunden, doch ich bin auf einem guten Weg.

Nach knapp 2 Stunden, die ich aus vollem Herzen genieße, erreiche ich den kleinen Ort Cortes Pereiras. In den Gärten wachsen reife Orangen, Zitronen, Mispeln und (unreife) Feigen. Das täglich geöffnete Café ist geschlossen, wodurch mir eine Pause erspart bleibt. Hervorragend markiert und von lautem Hundegebell hinter Zäunen und Mauern begleitet, durchquere ich den Ort. Bald darauf verabschiedet sich der bisher gemeinsam verlaufende Jakobsweg.

Zur Mittagszeit erreiche ich die Menhire von Lavajo, welche seit etwa fünfeinhalbtausend Jahren hier herumstehen. Ich entschuldige mich für meine Ignoranz, doch ich kann diesen Grenzsteinen und/oder heiligen Städten nichts abgewinnen. Ganz anders verhält es sich mit dem Prachtexemplar der an der nächsten feuchten Stelle wachsenden Zantedeschie (- auch Calla genannt -). Dabei öffnet sich mein Herz.

Blöderweise sind inzwischen schwarze Wolken am Himmel aufgezogen und ein sehr kühler Wind setzt ein. Ich erreiche einen kleinen Ort und mache einen Umweg zum Kulturzentrum, wo es ein Café geben soll. Dieses ist laut Führer nur unregelmäßig geöffnet und heute, wenig überraschend, geschlossen. Auf der winzigen, überdachten Terrasse laden drei Stühle zur Pause. Das tut gut.
Ich mache Pause und bin noch am Essen, als eine Frau und zwei Arbeiter erscheinen und den Kulturraum aufschließen und mich einladen, gerne drinnen Platz zu nehmen, wo sie ihre mitgebrachten Sandwiches verspeisen. Ich gebe mir Mühe, zu kommunizieren, doch die Sprachbarriere ist aufgrund des nicht vorhandenen Mobilfunknetzes extrem hoch.

Der Himmel scheint ein Einsehen zu haben, und die dunkle Wolke ist weitergezogen. Munter stapfe ich weiter durch das Blütenmeer – meiner ersten Flussquerung entgegen.
Ich nähere mich von oben dem Fluss und bereite mich schon darauf vor, hüft- oder zumindest knietief durchs Wasser waten zu müssen, doch als ich an der Furt ankomme, kann ich problemlos trockenen Fußes ans andere Ufer balancieren.

Nachdem diese Hürde überwunden ist, wandere ich tiefenentspannt weiter und lasse meinen Füßen und Gedanken freien Lauf. Es ist so schön, einfach nur zu sein.
Und so ziehe ich die Regenjacke an und wieder aus, überquere ein paar Bäche und eine weitere Ortschaft und ruhe in mir selbst. Die Zeit vergeht wie im Fluge. 
Irgendwann höre ich lautes Donnergrollen, und wenige Minuten später fallen erste Tropfen, aus denen innerhalb einer halben Minute ein prächtiger Gewitterregen wird. Ohne zu zögern, reiße ich mir den Rucksack von den Schultern, springe in meine Regenjacke und meinen Regenrock vom Dualen System Deutschland (auch als Gelber Sack bekannt – den ich zum Glück schon unten aufgeschnitten habe) und spanne meinen Schirm auf. Es gießt schätzungsweise drei oder vier Minuten wie aus Eimern, bevor der Spuk vorbei ist. Hätte ich nicht so schnell reagiert, wäre jetzt kein trockener Faden mehr an mir.
An das Gehen mit Rock muss ich mich noch gewöhnen und entweder kleinere Schritte machen oder doch noch einen Schlitz einbauen. Und doch ist solch ein Rock praktisch – in Europa außer in Schottland für Männer allerdings bis jetzt nicht so recht akzeptiert. Schade eigentlich.

Abgesehen von einem Nest von Pinienprozessionsspinnern (Danke an mein WhatsApp-Netzwerk) erreiche ich ohne besondere Vorkommnisse den Endpunkt meiner heutigen Wanderung – die Bushaltestelle in Balurcos de Baixo. Gerade mal eine halbe Stunde, bevor ich um 16 Uhr abgeholt werden soll. Auch in diesem kleinen Ort wimmelt es vor verlassenen, verfallenden Häusern. Hier im Hinterland leben fast nur noch alte Menschen, denn die Jungen ziehen in die Stadt.
Kann man es ihnen verdenken?
Da jemand an dem Müllsammelplatz an der Bushaltestelle seine Stühle entsorgt hat, kann ich jetzt schön in der Sonne sitzen und werde schon 15 Minuten vor der vereinbarten Zeit mit dem Taxi abgeholt und in meine Unterkunft gefahren.

Ich will gerade auf der überdachten Terrasse einen Tee kochen, da überrascht mich das Gewitter erneut – jetzt sogar mit ausgeprägtem Hagel. Mir reicht's jetzt mit kalt und nass und daher gehe ich nun duschen.

Ich mache mich auf den Weg zum Abendessen und stoße im Aufenthaltsraum auf die vier heute eingetroffenen Wanderer und meine Gastgeberin. Sie bedauert, dass ich nicht früher gekommen sei, denn sie hätte Tee für uns gemacht. Den kann ich ihr einfach nicht ausschlagen und zwei Scheiben „Armer Ritter“, die sie dazu gemacht hat, auch nicht. Wo soll das nur hinführen?! Und natürlich schaue ich mir auch noch ein paar weitere Bilder von ihren Kindern und Enkeln an.

Jetzt aber Abendessen! Nachdem ich gestern in dem laut meiner Gastgeberin besten Restaurant gewesen bin, gehe ich heute in das zweitbeste. (Das andere hat Ruhetag.) Rückblickend kann das eigentlich nur bedeuten, dass es nur zwei Restaurants im Ort gibt, oder meine Gastgeberin in keinem der anderen war.
Im nackten Gastraum werden auf einer Tischreihe Gemüse, Gebäck und Vorräte verkauft, und das Essen bleibt sowohl geschmacklich als auch qualitativ um Längen hinter dem gestrigen zurück. Und da spreche ich nicht von dem Galão mit saurer Milch – das kann bei diesem Wetter passieren. Lichtblick ist nur die verhältnismäßig gut englisch sprechende junge Bedienung und das superschnelle WLAN.
Die Belgier aus meiner Unterkunft treffen bald nach mir ein und so erfahre ich, dass sie morgen mit Etappe 3 starten und insgesamt fünf Tage unterwegs sein wollen. Zwei weitere Gäste scheinen auch noch Wanderer zu sein – ganz so selten wird die Via Algarviana also doch nicht begangen, auch wenn ich heute keiner Menschenseele begegnet bin.

Fazit: Heute war ein wunderschöner Auftakt und ich fühle mich hervorragend. So darf es gerne weitergehen. Gerne sogar noch trockener.

Länge Auf Ab
25 km 537 Hm 369 Hm