Vila Real de Santo António, 14.04.2025
Ich bin überrascht, wie ruhig es in der Nacht war und werde tatsächlich durch Vogelgezwitscher geweckt. Und während ich bei offenem Fenster geschlafen habe, ist meine frisch gewaschene Unterwäsche auf der davor gespannten Leine getrocknet. Eine Wäscheleine, sogar inklusive einiger Klammern, auf dem Balkon zu haben ist etwas, was ich mir viel öfter wünsche. Und je hochpreisiger die Unterkunft ist, desto unwahrscheinlicher ist es, diesen Luxus vorzufinden.
Ich begebe mich in ein kleines Café direkt um die Ecke und traue mich, meinen Galão und ein süßes Etwas zu verspeisen. Dann erst sehe ich, dass es auch belegte Brötchen gibt. Von ChatGPT lasse ich mir erklären, was ich bestellen muss und wie man das ausspricht, und tatsächlich bringe ich die richtigen Schlüsselwörter und ein Lächeln über die Lippen, um ein Weißbrötchen mit etwas Margarine und eineinhalb Scheiben einfachen Käse zu bekommen.
Die südländisch laute Kommunikation ist gewöhnungsbedürftig, doch obwohl ich kein Wort verstehe, scheint der Umgang positiv und freundlich zu sein. Das System, wie bei einem Teil der Kunden an der modernen Registrierkasse vorbei kassiert wird, verstehe ich sofort.
Unvermittelt kommt eine Gruppe Menschen mit Flugblättern, einer Portugal-Fahne und einem Anzugträger herein. Sie begrüßen die Leute, schütteln Hände und verteilen die Zettel mit „Salva Portugal“. Manche erkennen, dass ich für Wahlwerbung eher weniger empfänglich bin – andere nicht – und so wird auch mir die Hand geschüttelt. Bei so viel „Volksnähe“ schwant mir, um welche politische Richtung es sich handelt und in der Tat entpuppt sich der Anzugträger als André Ventura, Vorsitzender der Partei Chega! - also quasi der Björn Höcke der portugiesischen AfD.
Nach 5 Minuten ist der Spuk vorbei – zumindest im Café.
Nun kaufe ich mir frisches Wasser, denn den Luxus, das gechlorte Leitungswasser nicht trinken zu müssen, gönne ich mir so lange wie möglich und kehre ins Zimmer zurück, um mein Zeug zu packen und am späten Vormittag auszuchecken. Mein Bus fährt erst um 13:30 Uhr und da ich die Sehenswürdigkeiten der Stadt schon besucht habe, bleiben fast drei Stunden totzuschlagen. Bei Traumwetter eine verhältnismäßig einfache Übung, doch es kribbelt mir in den Füßen und ich möchte wandern.
Am Hafen sehe ich den Wegweiser des GR13, auf dem Alcoutim mit 65 km angegeben ist. Zum Glück wusste ich nichts von diesem Weg – so wie ich mich kenne, hätte ich zumindest überlegt, auch noch dorthin zu wandern.
Stattdessen lasse ich mich auf einer Bank mit Blick auf den Grenzfluss nieder, zippe meine Hosenbeine ab und bringe die Sonnencreme erstmals zum Einsatz. Und genieße es.
Selbstverständlich schlendere ich doch noch durch die Fußgängerzone, die an einem Werktag deutlich belebter ist als gestern, bevor ich mich zur Bushaltestelle begebe. Das Scannen des Tickets erzeugt beim Fahrer seltsame Geräusche und die Diskussion über dessen Gültigkeit verläuft ziemlich einseitig. Ob aus Überzeugung oder Resignation – ich darf mitfahren. Das Ticket für die einstündige Fahrt kostet knapp 6 EUR.
Als wir aus VRSA herausfahren, wundere ich mich über die großen, in Becken eingeteilten Wasserflächen mit weißen „Schneebergen“ dazwischen. Nach kurzem Überlegen wird mir klar, dass hier offenbar Salz aus Meerwasser gewonnen wird.
Der rasante Fahrstil des Kleinbusfahrers und der unangenehme Körpergeruch des hinter mir sitzenden, ungepflegten und nach Alkohol riechenden Mannes sind keine gute Kombination. Zwar gurte ich mich möglichst fest an und versuche die Achterbahnfahrt durch die hügelige und bunt blühende Landschaft zu genießen, doch als ich gegen 15 Uhr endlich in Alcoutim aussteigen darf, ist mir richtig übel.
Ich quatsche die Deutsch sprechende Frau an, die auch mit Rucksack aussteigt, doch sie ist keine Fernwanderin und möchte lediglich Urlaub bei einer Freundin machen.
Da der Busfahrer nicht bei der von mir gebuchten Haltestelle angehalten hat, darf ich nach Gespräch mit der vermeintlichen Wanderin den Berg zu meiner Unterkunft wieder hinaufsteigen. Na ja – Etwas Bewegung schadet mir bestimmt nicht. Und dank meiner hervorragenden Sprachkenntnisse schaffe ich es, die Unterkunft zu finden – pünktlich zur in meinen Unterlagen angegebenen Zeit. Dort werde ich von einer verschlossenen Tür empfangen. Der Anruf bei der angegebenen Telefonnummer landet auf einem Anrufbeantworter und der Anruf bei meinem lokalen Reiseveranstalter auch. Beim nächsten Versuch 10 Minuten später habe ich mehr Erfolg und erfahre, dass ich in 1 Stunde einchecken kann. Ich gehe also wieder ins Zentrum hinab, erfreue mich an den farbenfrohen Zitronen- und Mispelbäumen, um dann mit herrlichem Blick auf den Guadiana-Fluss und das auf der anderen Flussseite liegende Dorf abzuwarten und Galão zu trinken. Ich will nicht jammern, denn es ist trotz der dunklen Wolken am Himmel immer noch trocken, angenehm warm und wunderschön hier. Die lokale Gelassenheit darf ich noch etwas mehr verinnerlichen.
Um 16 Uhr ist immer noch niemand da, doch bald danach wird eine kleine, alte und sehr freundliche Dame vorgefahren. Sie spricht fließend Portugiesisch und kann zum Glück Google Translate noch besser bedienen als ich. Sie führt mich herum und wir einigen uns auf die Frühstückszeit (7:30 Uhr) und empfiehlt mir zwei Restaurants für das Abendessen. Das Haus ist riesig und heute werde ich es für mich alleine haben – morgen treffen vier weitere Wander*innen ein.
Im ganzen Haus riecht es muffig-schimmelig, und wenn ich mir eine Wand in meinem Zimmer anschaue, weiß ich, wieso. Ich mache die Fenster auf und hoffe, dass mir das keine größeren Probleme bereitet, denn ich bin diesbezüglich etwas empfindlich.
Von meinem lokalen Reiseveranstalter wurde für mich das mir schon bekannte Via-Algarviana-Kartenmaterial hinterlegt und zusätzlich drei Kopien mit eingezeichneten Umgehungen für überflutete Gebiete und eine sehr weiträumige Umgehung einer Flussüberquerung. Diese Informationen sind neu für mich und ich bin sehr gespannt auf die Wanderung und habe gleichzeitig Bammel.
Ich erledige meine Wäsche und will gerade aufbrechen, um ohne Rucksack das Dorf mit seiner Burg zu erkunden, als es anfängt, kräftig zu regnen. Lieber soll es das jetzt, als morgen während der Wanderung.