Aerzen, 11.05.2023

Obwohl das Zimmer vermutlich eines der besten bisher ist, habe ich unglaublich schlecht und wenig geschlafen.
Beim Frühstück entwickelt sich ein Gespräch mit einem anderen Gast und dem Besitzer, der das Hotel Waldquelle über die letzten 25 Jahre aufgebaut hat, bei dem ich -neben anderem– einen interessanten Einblick in die Gedankengänge eines Gastronomen zum Thema Schulbildung, Mindestlohn und Arbeitsmarktpolitik bekomme. Sprühender Optimismus sieht anders aus.

Würde ich auf trockenes Wetter warten, käme ich heute nicht mehr vom Fleck und so wandere ich einfach um 9 Uhr los. Im Wald darf ich auf einem schmalen, überwucherten Pfad gleich ziemlich umständlich über einige umgestürzte Bäume steigen. Erst als mir zwei Radfahrer mit großen Satteltaschen, die den Hansaweg absolvieren, entgegenkommen, merke ich, wie gut es mir eigentlich geht. Was ein solcher Perspektivwechsel doch ausmacht!

Ich passiere das Dorf Königsförde, um danach auf einen Feldweg einzubiegen und durchs Gras zu laufen. Durch nasses Gras zu laufen, ist die Höchststrafe für Schuhe. Einziger Pluspunkt ist, dass sie danach sauber sind. Als ich mich gerade damit abgefunden habe, dass die Füße jetzt trotz Gore-Tex sowieso nass sind und ich mir das Trockenföhnen der noch etwas feuchten Socken heute Morgen hätte sparen können, kommt eine etwa 100 m lange Passage, in der ich durch kniehohes Gras muss. Danach gibt es unterhalb des Knies keinen trockenen Faden mehr an mir.
Und das mit den sauberen Schuhen erledigt sich am nächsten, völlig aufgeweichten Feldweg auch gleich wieder.

Vereinbarungsgemäß rufe ich im Hotel in Hameln an, wo man verspricht, mir den Schlüssel in den Schlüsselkasten zu legen, sodass ich auch während der Mittagszeit allein einchecken kann und nicht bis 15:30 Uhr warten muss. Das ist doch super!

Nach zweieinhalb Stunden im Dauerregen und inzwischen völlig aufgeweichten Füßen wird es zunehmend schwerer, die positive Stimmung aufrechtzuerhalten. So viel singen kann ich gar nicht. Und so bin ich froh, als ich den Hausberg von Hameln, den Klüt erreiche und mir aufgrund der Panoramatafeln einen guten Überblick verschaffen kann. Der Aussichtsturm kostet leider nur einen Euro, denn sonst hätte ich auf einen Schlag noch mehr Geld sparen können. (Ich gehe nämlich nicht rauf.)
Wirklich knifflig wird nun der Abstieg, denn im oberen Teil ist es extrem steil und schmierig. Ich befürchte, mich hier flachzulegen und mir dabei wehzutun oder mich mindestens völlig einzusauen. Nach einigem Zögern nehme ich meinen Mut zusammen, halte mich gut an meinem Schirm fest und trippele und rutsche abwechselnd von Serpentine zu Serpentine. Nach den ersten fünf wird es etwas flacher und normale Vorsicht genügt, um mich heil bis nach Hameln runterzubringen.

Eines der ersten Häuser ist eine Bäckerei, die mir zu einem sinnvollen Preis einen Cappuccino verkauft. Es erscheint mir wie flüssiges Glück im Becher.
Ein kleiner Umweg zu einer Packstation, in der mir Amazon freundlicherweise ein kleines Päckchen hinterlegt hat, und schon kann ich über die Münsterbrücke die reichlich Wasser führende Weser überqueren und die Altstadt von Hameln betreten.

Im Hotel checke ich problemlos über den Schlüsseltresor ein. Als ich feststelle, dass im Zimmer zwei Heizkörper sind, die sich aufdrehen lassen und warm werden (anders als die letzten 2 Tage) ist meine Freude riesig.
Als Erstes wasche ich meine Schuhe im Waschbecken. Das mache ich eigentlich nicht gerne, aber es ist die einzige Möglichkeit, dass ich nicht alles einsaue und die Schuhe danach zum Trocknen auf die Heizung stellen kann. Danach säubere ich das Waschbecken (incl. Abfluss), sodass nichts mehr zu sehen ist und es eigentlich nicht schlimm ist. Dennoch mag ich es nicht, die Schuhe in einem normalen Waschbecken zu waschen. Zu Hause habe ich extra eine Waschküche dafür. Vielleicht bin ich mit dieser Einstellung etwas speziell – es soll sogar Leute geben, die Ihre Schuhe am liebsten im Küchenwaschbecken putzen.
Danach wasche ich meine Klamotten und als Letztes springe ich selbst unter die Dusche.
Die aufgeweichten Füße, die sich gegen Ende echt nicht mehr gut angefühlt haben, scheinen außer einer kleinen Stelle, die ich morgen vielleicht mit Blasenpflaster versorge, keine Schäden davongetragen zu haben. Ich pflege sie mit einer Extraportion Hirschtalgcreme und Liebe.

Mit der einzigen mir noch zur Verfügung stehenden Fußbekleidung, die optimal zu dem Wetter passt, nämlich barfuß in Badelatschen, ziehe ich los, um mir etwas zu essen zu besorgen. Mit gerade frisch eingecremten Füßen ist das eine ziemlich rutschige Sache.
Wirklich bemerkenswert finde ich jedoch das Verhalten der anderen Menschen, sowohl auf der Straße, im Supermarkt als auch in der Dönerbude, in der ich mir etwas zum Mitnehmen bestelle. Und es ist ja nicht so, dass ich nach einer Woche im Wald ungewaschen und verdreckt daherkomme – ich bin frisch geduscht und trage saubere, wenngleich etwas ungewöhnlich aussehende Kleidung. Ich kann wirklich empfehlen, mal selbst auszuprobieren, wie es ist, wenn man sich nicht der Norm entsprechend kleidet oder verhält.

Nachdem ich mich ausgeruht habe, drehe ich noch eine Runde durch Hameln und bewundere die eindrucksvollen Fachwerkhäuser. Vor der Einkaufspassage soll es ein Bierfest geben – allerdings sind wetterbedingt keine Leute da und von der angeblich stattfindenden Stand-up-Comedy ist weit und breit nichts zu sehen.
Also esse ich eine Kleinigkeit und ziehe mich wieder in mein warmes Zimmer zurück.
Morgen wird ein besonderer Tag, denn ich wandere in Begleitung. Dazu morgen mehr.

Fazit: Heute Regen. Noch mehr Regen. Und vom Regen regenerieren.

Länge Auf Ab
14.7 km 251 Hm 319 Hm