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Brienz, 13.06.2021

Früher als gewollt wache ich auf, denn ab fünf Uhr nimmt der Straßenverkehr merklich zu. Bis dahin war es allerdings so ruhig, dass ich sogar das Fenster geöffnet lassen konnte. Die in der metallenen Dachrinne nistenden Vögel sorgten für zusätzliche Geräuschkulisse. Das Zimmer hat auf jeden Fall seinen Zweck gut erfüllt.
Frühstücken kann man auch draußen auf der Terrasse, wenn man die Sachen vom drin gedeckten Tisch rausträgt. Das Frühstück ist ok. Nur beim Müsli erwische ich etwas so süßes, dass ich es nicht hinunterbekomme.
Kurz nach neun Uhr wandere ich los. Schon beim Packen des Rucksacks stand mir der Schweiß auf der Stirn.
Vorbei am Bahnhof und der Talstation der Bregenzer Rothornbahn wandere ich bei strahlendem Sonnenschein auf das Ende des Sees zu. Auffällig ist auch hier, dass (fast) alle Leute freundlich grüßen und gut drauf zu sein scheinen. Wird man durch diese Traumlage und das Klima zum besseren, freundlicheren Menschen? Oder wollen/können die Griesgrame der Welt nicht hierher kommen? Seltsame Gedanken - ich genieße es auf jeden Fall!
Am Strandbad verlasse ich den Brienzersee und folge der Markierung zum Brünigpass, den ich angeblich in drei Stunden erreichen soll.
Das Wilerhorn (2005m) ist der letzte Berg in der Kette auf meiner Seeseite. An diesem kann ich mich gut orientieren, denn rechts daneben liegt der Brünigpass.
Von Hofstetten aus habe ich einen tollen Blick in Richtung Meiringen, also zum des Endes des Aaretals. (Hier über den noch wintergesperrten Sustenpass - und schon ist man in Wassen, wo ich in ca. zwei Wochen auch sein möchte).
Oberhalb des gut frequentierten Parkplatzes des Freilichtmuseums Ballenberg geht es weiter. Die urigen, dunklen Holzhäuser gefallen mir sehr.
Im Kirchengemeinde-Haus singt ein Frauenchor und ich stille meinen größten Durst am Dorfbrunnen. Mir fallen heute die vielen (vermutlich privaten) e-Roller auf. Nicht nur in den Städten sieht man sie hier häufig, sondern auch auf dem Land.
In Brienzwiler, mit schönem Blick auf den Wasserfall auf der gegenüberliegenden Talseite (unweit Meiringen) aktiviere ich den Kamel-Modus und trinke mich am Brunnen satt. Bis zum Pass wird es voraussichtlich keinen Brunnen mehr geben.
Hier darf ich nun die Straße verlassen und wandere auf einem Bergweg hinauf. Jetzt gibt es nur noch eine Richtung: hoch! In Serpentinen windet sich der Weg durch den Wald und auch durch einige Bärlauchfelder. (Ja - es sind sicher keine Tulpen - oder mit was die Städter Bärlauch sonst gerne verwechseln)
Wie ich so den Berg hinaufkeuche, kommen mir zwei mittelalte Frauen entgegen. Die Muscheln am Rucksack outen sie als Pilger. Die Sprache als Deutsche. Ihr Endziel ist tatsächlich Santiago. Sie haben drei Monate Zeit. Wow!
Ich erreiche meinen höchsten Punkt bei 1090m. Die Straße war die ganze Zeit weder sicht- noch hörbar. Nun geht es hinab nach Brünig. das letzte Stück zum Straßen-Pass hinauf verläuft der Wanderweg ein paar Minuten dicht neben der vielbefahrenen und lauten Straße. Ganz schnell vergessen!
Am Bahnhof hole ich mir etwas Wasser. Dieser Lärm und die unentspannten Menschen, die gleich rumhupen müssen, wenn jemand eine Millisekunde zu langsam auf den Parkplatz fährt, nerven mich kolossal.
Laut Karte verläuft der Jakobsweg nun oft im Straßennähe. Kurz vor dem Pass habe ich allerdings einen Wegweiser nach Lungern gesehen, der länger ist und als Bergweg (weiß-rot-weiß) markiert ist und Richtung Wilerhorn führt. Diesen nehme ich jetzt!
Auf einem Schotterweg geht es nun von der Passhöhe (1008m) steil hinauf.
Bei Schäri (1224m) stehen vier Holzhütten und ein Brunnen. Auf der Bank vor einer Hütte mache ich Mittag. Diese Stille! Nur das Plätschern des Brunnens, vereinzelt Vögel, Brummen von Insekten. Kein anderer Mensch. Das ist MEIN Kraftort!!
Nachdem ich fertig gegessen habe - und auch etwas geruht - kommt von hinten ein kleines Auto angefahren. Es ist der in Brienz wohnende Eigentümer (oder Pächter) nebst Frau, die dem Trubel unten entkommen möchten. Der Mann ist erst überrascht, jemanden auf seinem Bänklein sitzen zu sehen, aber dann freundlich. Auch bestätigt er, dass das der Brunnen Trinkwasser speit. Die Frau schaut eher böse. Ich wechsele ein paar Worte mit dem Mann (so von Eidgenosse zu Eidgenosse. Hier hat mich der Dialekt 100% „gerettet“). Dann packe ich meinen Kram ein und wandere weiter. Das war sooo schön!
Im Abstieg überquere ich auf irgendeiner Kuhweide die Kantonsgrenze nach Obwalden.
Bei Chluiswald muss ich mich wieder entscheiden, ob ich nun direkt nach Obsee absteige, oder den etwa längeren Weg wähle und damit wieder auf dem Jakobsweg nach Lungern bin. Ich entscheide mich für den längeren Weg, denn was soll ich den ganzen Nachmittag (Achtung! Flacher Wortwitz:) im Hotel rumlungern? Diese Entscheidung soll ich noch bereuen.
Nach einer gefährlichen Straßenüberquerung in einer Kurve, wo man nichts sieht und nach Gehör loslaufen muss, bin ich wieder auf der ViaJacobi. Wenn da ein Tesla oder anderer e-Sportwagen kommt, braucht man Glück/Schutzengel. Ein wunderbarer Bergpfad führt nun bis nach Lungern - allerdings immer in Hörweite der Straße. Ich kann es ob des Lärms überhaupt nicht genießen und erreiche Lungern mit Kopfschmerzen. Dieses Stück Weg würde ich nur noch an einem „autofreien Sonntag“ gehen. Sonst nicht! Wobei - die Autos sind schon schlimm genug, aber die Motorräder… So langsam kann ich nachvollziehen, dass es Menschen gibt, die ein generelles Motorradverbot fordern. Ein ganz schreckliches Stück Weg!
Ich steige zur Kirche hinauf und genieße den Ausblick und setze mich in den Schatten. Der Schädel brummt - Sonne und der Lärm fordern ihren Tribut.
In Bahnhofsnähe finde ich das riesige Gebäude des „Emma‘s Hotel B&B“. Ich hatte etwas Kleines erwartet, weil ich mit B&B nicht ein „Hotel garni“ assoziiert hatte. Der Check-In funktioniert vollautomatisch wie bei einer riesigen Hotelkette. Das Haus macht dennoch einen freundlichen Eindruck und auch das Zimmer lässt keine Wünsche offen. Jetzt erstmal eine kalte Dusche!

 

Länge Auf Ab
19 km 869 Hm 685 Hm