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Flüeli-Ranft, 15.06.2021

Die Nacht war verhältnismäßig ruhig und ich habe gut geschlafen. Ich gehe zum Frühstück also wieder hinüber zum Jugendstil-Hotel. Heute unter dem Motto „Digital Detox“, weshalb es auch keine Fotos vom guten Buffet (incl. Alpenbutter-Spender) und der herausragenden Aussicht vom Wintergarten gibt. Ich finde, „Digital Detox“ klingt sehr viel besser, als „iPhone im Zimmer vergessen“. (Ob das Nachwirkungen des Dachbalkens sind?)
Die Leute sind hier entweder chic angezogen oder mit stylischen Outdoor-Outfits ausgestattet. Ich fühle mich mit meinem zweckmäßigen (aber unlängst gewaschenen) roten Merino-Shirt und den blauen Crocs ein wenig wie ein bunter Hund. Beim Warten auf mein Frühstücksei, das man hier selbst kochen darf, spricht mich eine Frau an, ob ich denn auf dem Jakobsweg unterwegs sei. Sie habe das auch schon gemacht,... Obwohl sie mit ihrem Mann unterwegs ist, scheint sie einen noch größeren Redebedarf zu haben, als ich. Zum Glück ist so ein Ei auch mal fertig.
Apropos Eier. Ich weiß nicht, wie oft ich in Hotels schon „schlechte“ weiche Eier hatte - nämlich immer zu hart. Hier darf man sich selbst versuchen - das wird dann erfahrungsgemäß auch nichts, aber immerhin ist man selbst dafür verantwortlich. So perfekt, wie meine Frau die Eier zur Hause kocht, habe ich das im Hotel noch nie erlebt.
Bis ich gepackt habe, ist es fast neun Uhr.
Der Weg führt hinab in die steil eingeschnittene Ranft-Schlucht, wohin sich Bruder Klaus in seine Einsiedelei und seine Kapelle zurückgezogen hat. (Die Ranft-Schlucht ist nur ein kurzes Teilstück des durch die „Grosse Melchaa“ gebildeten Melch-Tals.) Hier unten lenkt zumindest die Aussicht nicht von der Konzentration auf „das Wesentliche“ ab. Nachvollziehbar ein idealer Ort für Ruhe, Reflexion und Gebet. Insgesamt ist Bruder Klaus eine Person, mit der man sich gerne mal etwas beschäftigen kann. (Auch die politischen Aspekte seines Wirkens.)
Wo es steil runter geht, geht es meist steil auf der anderen Seite (zum Glück noch im Schatten) wieder hinauf. Ein grandioser Blick auf Flüeli-Ranft und das Pilatus-Massiv bietet sich. Mir war gar nicht gewusst, dass der Pilatus kein einzelner Berg ist, sondern ein Bergmassiv mit mehreren Gipfeln. Der höchste Gipfel ist das Tomlishorn. Der Gipfel, im dessen Nähe man mit der Bergbahn herauskommt, ist nämlich zehn Meter niedriger und heißt „Esel“ (welch treffender Name). Deshalb nennt man ihn dann wohl auch „Pilatus Kulm“. Das muss auch schön sein, dort oben!
Nun also hinauf zur Kapelle nach St. Niklausen mit dem alten Turm, die sich jedoch aufgrund des Sonnenstands nicht fotografieren lässt. Nach einer Stunde bin ich nun also doch schon zweieinhalb Kilometer weit gekommen! Nun habe aber bereits die kulturellen Höhepunkte des Tages gesehen.
Jetzt also mal wandern!
Überall auf den Wiesen wird Heu gemacht. Dieser Geruch - auch wenn man an einem frisch gefüllten Heuschober vorbeikommt - sooo unverwechselbar angenehm.
Beim hässlichen Betonklotz des Kloster Bethanien, an dem ich dicht vorbeiwandere, blicke ich gerne nochmal zurück auf den Sarnersee und die weißen Berggipfel.
Eine Bank mit seltsamen Inschriften gibt mir Rätsel auf - später sehe ich noch eine ähnliche. Ist das ein Sprachkurs? Sachdienliche Hinweise für die drei linken Begriffe nehme ich gerne entgegen.
Bald darauf öffnet sich vor mir der Blick und ich kann wunderbar das Stanserhorn und den Alpnachersee vor mir liegen sehen. Der Vierwaldstädtersee versteckt sich noch um die Ecke.
Als ich mal wieder an einem Brunnen stehe und trinke, kommt eine Schweizer Pilgerin dazu. Wir kommen ins Gespräch. Da sie einen netten Eindruck macht erkundige ich mich nach ihrer Planung. Sie möchte noch bis Genf pilgern und bucht immer nur für den aktuellen oder maximal nächsten Tag, hat nur einen Hüttenschlafsack dabei, und gerade dieses Jahr überhaupt keine Probleme. Die „ganzen Deutschen“ fehlen nämlich wegen COVID. Sie übernachtet in privaten Unterkünften, die auf der Schweizer Pilgerwebsite genannt sind, oder in B&B oder eben auch in Pilgerunterkünften. Auch vor drei Jahren ging das nach diesem Verfahren problemlos, auch wenn es deutlich voller war. Sehr interessant!
In St. Jakob erreiche ich den Kanton Nidwalden. Ganz in der Nähe der Kirche (Wasser!) finde ich einen schönen, schattigen Platz und mache Mittagspause.
Als ich den letzten Hügel bei Murmatt besteige, ist es soweit. Hergiswil, Stans und der Vierwaldstädtersee liegen vor mir. Natürlich sehe ich auch die riesige Schweiz-Fahne am Rigi bei Vitznau, die nun im 21. Jahr hängt. Selbst den Großen Mythen kann ich in der Ferne gut erkennen. Ein Gipfel mit schönen Erinnerungen und dazu noch ein guter Orientierungspunkt!
Wie ich so weiter wandere, höre ich beim Näherkommen an einem Steilhang ohrenbetäubenden Lärm. Drei Männer mit Benzin-Laubbläsern blasen das Heu den Hang hinunter. Das ist vermutlich einfacher/besser als zu rechen - verblüfft mich auf den ersten Blick aber doch. Immerhin trägt der jüngste von ihnen Lärmschutz-Mickeymäuse. Die anderen haben wahrscheinlich noch nie etwas von Arbeitsschutz gehört. Mir klingeln schon nach der kurzen Zeit des Vorbeigehens die Ohren!
Nun ist es nicht mehr weit - ich sehe grade noch einen Wagen der historischen Stans-Standseibahn, die bis zur Station „Kälti“ fährt (ab dort die topmoderne Cabrio-Gondelbahn) - und schon bin ich im Dorf. Das Hotel Stanserhof befindet sich unweit der Talstation. Ich checke ein, bekomme ein frisch renoviertes Zimmer (mit dem bisher langsamsten Internet mit 6 Mbit), dusche mich und wasche die Wäsche und gehe dann nochmal auf eine Dorfbesichtigungs-Runde, die ich mit dem nötigen Einkauf kombiniere. Morgen möchte ich etwas früher los, da am Abend die Schifffahrt nach Brunnen ansteht.

 

Länge Auf Ab
17.6 km 350 Hm 626 Hm

 


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