Schleswig, 23.06.2023
Da ich ohnehin nicht schlafe, kann ich genauso gut aufstehen, bin daher schon um 7 Uhr bei famila und nehme den Bus um kurz nach acht zu meinem gestrigen Endpunkt. Noch ist es morgendlich kühl und der Himmel ist bedeckt.
In Sieverstedt gelange ich zum „Hörnerplatz“, auf dem zwei Hörner in Wikinger-Art den Zusammenschluss der drei Ortschaften Stenderup, Sieverstedt und Süderschmedeby im Jahre 1971 dokumentieren. Der E1 führt mich durch sämtliche Gemeinden mit den merkwürdigen Namen.
Hier sehe ich auch erstmals eine Informationstafel, die mich darüber aufklärt, dass ich mich (auch) auf der Pilgerroute Ochsenweg bzw. Hærvej befinde, die auf etwa 200 km von Vejen in Dänemark bis Rendsburg in Schleswig-Holstein führt.
Obwohl ich bald darauf durch das Naturschutzgebiet „Obere Treenelandschaft“ wandere, ist davon nicht viel zu spüren. Für mich fühlt sich das an wie ganz normaler, geteerter Feldweg entlang von Feldern. Auch wenn ich nun schon eineinhalb Stunden unterwegs bin, waren das Spannendste bisher die Orts- und Straßennamen und das Aufregendste ein entgegenkommender Traktor. Erlebnismäßig ist noch Steigerungspotenzial vorhanden.
Nach langer, viel zu langer Zeit darf ich endlich in den Wald „Fröruper Berge“ abbiegen. Einziger Nachteil sind die anscheinend völlig ausgehungerten Blutsauger, die sich schneller auf mich stürzen, als ich mich mit der chemischen Keule schützen kann. Bis ich stehen geblieben bin, den Rucksack abgesetzt und die Autan-Flasche aus dem Seitenfach gegriffen habe, sitzen locker 15-20 Mücken auf Armen und Beinen. Und selbst nachdem ich alle nackte Haut eingesprüht habe, versuchen Sie weiter durch Hemd und Hose zu stechen - es ist unglaublich! Durch Hose und Hemd kommen sie nicht durch - allerdings merke ich später, dass die Wollsocken nicht stichfest sind und sich dort ein Stich an den anderen reiht. Toll! Statt den Wald zu genießen, eile ich indessen voran, um mindestens etwas Ruhe zu haben. Als ich ein großes Feuchtgebiet passiere, ist mir immerhin klar, wo die myriaden Plagegeister wohnen.
Kurz darauf erreiche ich bei „Schmidts Wiese“ einen See mit herrlichen Seerosen. Die Frösche quaken, die Vögel pfeifen, die Libellen zeigen ihre Flugkünste und hier ist keine einzige Mücke, obwohl ich maximal 100 m von dem schrecklichen Wald entfernt bin. Das verstehe, wer will.
Ich lasse mich auf einer Bank nieder und genieße für heute zum ersten Mal, unterwegs zu sein. Und ich genieße es lang und ausgiebig.
Zur Mittagszeit erreiche ich Oeversee und überquere die Treene. Das Tagesziel wäre hier erreicht und ich müsste nur noch zum Hotel gehen. Allerdings ist es heute so wunderbar kühl und bedeckt, dass ich an der uralten Eiche am Marktplatz beschließe, die nördlichste deutsche E1-Etappe zu beginnen. Es sind nur noch knapp 23 km bis zur dänischen Grenze.
Auf dem Friedhof fülle ich nicht nur meine Trinkflasche mit Wasser, sondern besuche auch die wunderbar schlichte Sankt-Georg-Kapelle. Als ich aus der Kapelle komme, bemerke ich eine Edelstahltafel, auf der aus mir unerfindlichen Gründen das Gedicht von Theodor Fontane, „Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland“ eingraviert ist. Vielleicht einfach weil es thematisch passt und wunderschön ist? Und natürlich habe ich wie immer feuchte Augen, als ich es lese.
Ich verlasse Oeversee, das dem Historiker durch die Schlacht von 1864 bekannt ist, als sich hier Österreicher und Dänen im eisigen Winter mit hohen Verlusten bekämpften und erreiche bald den Sankelmarker See. Dieser ist in der Weichseleiszeit entstanden und ich folge seinem Ufer in ein Wäldchen. Hier kann ich genießen, wie schon das Wandern sein kann.
Dem „Arnekiel-Park“ statte ich auch noch einen kurzen Besuch ab. Erst wundere ich mich über den Parkplatz und die seltsamen Holzgebäude, dann bemerke ich, dass hier mal wieder ein archäologisches Denkmal am Wegesrand liegt. Diesmal in Form eines Langbett-Grabes. Immerhin wird auf den Tafeln sehr anschaulich erklärt, wie die riesigen Steinblöcke früher vermutlich mit über hundert starken Männern und Hebeltechnik bewegt werden konnten. Das ist auch für mich beeindruckend!
Und danach geht es weiter auf der Teerstraße ….
Als ich gerade durch Munkwolstrup wandere und sinniere, dass es heute mit den Erlebnissen nicht so prall war, steht plötzlich ein Bäcker-Auto am Straßenrand, das durch die Dörfer fährt und seine Ware vor Ort verkauft. Erst nehme ich es gar nicht richtig wahr - und dann lachen mich feinste süße Stückchen und Zitronenrollen an. Ich traue meinen Augen kaum - das fühlt sich an wie „Trail Magic“. Zucker hin, Zucker her - hmmm - lecker ist es - und weil es so unerwartet kam, das pure Glück!
In Handewitt-Jarplund ist Schluss für heute. Hier gibt es die Bushaltestelle Heinrichweg - und zwar in jeder Fahrtrichtung und 300 m voneinander entfernt. Zuerst gehe ich zu der Haltestelle, an der der Bus nach meiner Intuition fahren müsste. Ich finde ihn nicht im Aushang. Also gehe ich 300 m zur anderen Haltestelle. Dort finde ich ihn auch nicht, jedoch immerhin die Bus-Nummer 860 in Gegenrichtung. Zwei Mädels sitzen im Glashaus und bestätigen mir, dass ich falsch bin und der Bus nach Eggebek auf der anderen Seite fährt. Also wieder 300 m zurück. Da durch das hin- und herlaufen die Zeit vergangen ist, dauert es nicht lange und schon kommt der Bus 860 und ich frage, ob er nach Eggebek fährt, obwohl was anderes ansteht. Der Fahrer verneint und ich zeige ihm die Fahrplanauskunft. Schulterzucken - „dann ist der Fahrplan falsch“. Also frage ich ihn, ob er nach Frörup fährt, was er auch verneint. Ich verstehe die Welt nicht mehr. Ich frage nach „Gasthaus Frörup“ - da kommt ein Nicken und die Antwort „Ja, nach Oeversee, aber nicht nach Frörup. Ich halte direkt vor dem Gasthaus“.
Das tut er dann auch - an der Haltestelle „Gasthaus Frörup“.
Ich könnte jetzt schreiben, dass mich das alles kaltlässt. Aber ich habe die Nase von den bescheidenen Buslinien, den noch bescheideneren Aushang-Fahrplänen und den semi-hilfreichen Fahrern inzwischen dermaßen satt, dass ich froh bin, morgen (hoffentlich) die Grenze nach Dänemark zu erreichen und dort den nördlichen Schlusspunkt zu setzen und dann ein letztes Mal Bus zu fahren.
Im „Gasthaus Frörup“ checke ich ein und bekomme mein Zimmerchen unterm Dach. Superschnelles Internet gibt es hier und zum Glück brennt die Sonne heute nicht gar so heftig - warm genug ist es dennoch.
Fazit: Prima Seerosen-See und Überraschungs-Bäcker. Über Busse und Teerstraßen nicht ärgern.
Länge | Auf | Ab |
---|---|---|
20 km | 122 Hm | 104 Hm |