Kalte Herberge, 13.07.2023
Im weichen Bett habe ich mittelmäßig geschlafen. Verschiedenste Frühstückszeiten gab es in den letzten Wochen, doch Frühstück ab 7:45 ist neu. Insgesamt ist in dieser Unterkunft ein besonderer, rustikaler Charme angesagt. Mir gefällt es, doch bestimmt ist das nicht jedermanns Sache.
Schon kurz nach dem Start der heutigen Etappe habe ich das morgige Tagesziel und den, zumindest geografischen, Höhepunkt des Westwegs und des deutschen E1 vor mir, nämlich den Feldberg im Schwarzwald. Ist das ein Zeichen von badischer Bescheidenheit, dass dieser fast 1500 m hohe Berg einfach nur Feldberg heißt und nicht „Hoher Feldberg“ oder „Hammer Feldberg“? Oder war der Name „Großer Feldberg“ einfach schon durch die Hessen mit ihrem nur gut halb so hohen Taunus-Hügel belegt? Egal - ich finde es schön, das Ziel vor Augen zu haben.
Das Wetter könnte für mich zum Wandern nicht schöner sein. Flockige Kumuluswolken schützen meist vor zu viel Sonne und ein leichter Wind sagt dafür, dass es mir nicht zu warm wird. Für mich ist es das pure Glück, hier wandern zu können.
Nicht nur meine Füße wandern, sondern auch meine Gedanken, die beim Frühstück durch eine schon etwas ältere, extrem fitte Wanderin angeregt wurden. Sie lebt die Hälfte des Jahres abwechselnd in Spanien und in Deutschland und ich spinne vor mich hin, ob das für mich auch irgendwann die Option wird, der sonnenarmen, feuchten und kalten Jahreszeit zu entgehen? (Mein Englischlehrer ist letzten Herbst aus dem Vogelsberg nach Süd-Spanien gezogen und ich habe gesehen, wie es sein Leben positiv verändert hat.) Momentan habe ich einen anderen Fokus, doch spätestens 2027 ist die nächste (kurze) Auszeit angesagt. Vielleicht kann ich diese Gedanken dann konkretisieren und out-of-the-box denken und handeln.
Kurz vor dem Thurner-Pass passiere ich Schanzen-Anlagen aus dem 30-Jährigen Krieg und lese mir die Infotafeln dazu durch. Gute Gefühle bekomme ich dadurch keine, ebenso wenig wie durch die Warntafeln, dass ich mich nun in Wolfsgebiet befinde. Ich soll mich hier nur in Gruppen bewegen. Interessant. Da Spontan-Vermehrung nicht möglich ist, beschränke ich mich darauf, die Augen offenzuhalten und ein bisschen falsch zu singen und zu pfeifen. Das kann ich nämlich gut und das soll auch gegen Wolfsangriffe schützen.
Ich bleibe halbwegs entspannt, denn es sind schon mindestens drei Wander*innen vor mir hier entlang gewandert. Sofern der Wolf keine Präferenz für männliche, große und alte Wanderer hat, sollte er schon satt sein.
Als ich nach 17 km am Berghäusle, wo ich Mittagspause machen wollte, ankomme, bin ich doch etwas enttäuscht, dass heute Ruhetag ist. Zum Glück ist dennoch jemand vor Ort und füllt mir meine Wasserflasche. Jetzt muss ich doch noch weiter in den Ort Titisee. Zum Glück trage ich schon eine Weile einen Apfel und ein Stück Brot spazieren, sodass ich keinen allzu großen Hunger leiden muss. Und spätestens heute Abend gibt es ja Abendessen im Hotel.
Mit Blick auf die markanten Sprungschanzen von Hinterzarten geht es nun zunächst hinab zum See nach Titisee.
Zum Glück lädt schon kurz vor dem Ort der Golfplatz auch nicht-Golfer in sein Clubhaus ein. Von ein paar Golfern, die vielleicht denken, sie seien etwas Besseres, ernte ich leicht schräge Blicke, was mir völlig wurscht ist, denn ich werde freundlich bedient und bekomme nicht nur ein kühles Bier, sondern auch „Brägel mit Spiegelei“.
In Titisee bekomme ich kurz den Touristen-Koller, doch nach einem wunderbaren, erfrischenden Bad im See ist alles wieder gut. Einfach mit Rucksack unterwegs zu sein, in dem alles drin ist, was man braucht, (und eine Kreditkarte, die man zum Glühen bringen kann) ist schon fantastisch.
Kurz darauf komme ich zur offiziellen Badestelle, die tatsächlich keinen Eintritt kostet. Dort gibt es zwar Umkleidekabinen, jedoch auch keine Badeaufsicht, sodass auf großen Tafeln vor Ertrinkungsgefahr im See gewarnt wird. Zum Glück war ich schon Baden, denn hier ist es mir doch zu gefährlich.
Auf der heutigen Etappe darf ich über einige frisch umgestürzte Bäume steigen, die dem Unwetter vorgestern Abend zum Opfer gefallen sind und ich passiere einige Stellen, wo schon aufgeräumt wurde. Zudem schaue vermehrt nach oben, ob noch offensichtlich lose Äste abzustürzen drohen.
Zwischen mir und Hinterzarten liegt jetzt vor allem noch die Kesslerhöhe, doch dafür, dass schon deutlich über 20 km hinter mir liegen, bin ich noch erstaunlich fit. Insgesamt habe ich das Gefühl, dass mir das Wandern im Schwarzwald leichter fällt, als in Norddeutschland.
Der Check-in im Hotel Imberry könnte nur durch einen Schlüsseltresor unpersönlicher durchgeführt werden. Da die Rezeption geschlossen ist, darf ich mich im Restaurant melden. Eine Service-nicht-Fachkraft drückt mir eine Mappe mit Schlüssel in die Hand, nennt die ohnehin gut sichtbare Zimmernummer und meint „Ist im Nebenhaus“. Auf die Nachfrage, wie ich dort hinkomme, lautet die Antwort des ansonsten der deutschen Sprache mächtigen Mannes „Treppe runter oder durch den Biergarten“. Ok - ich bin bedient und suche mir meinen Weg selbst. Hätte ich mich nicht heute Abend zum Abendessen verabredet, würde ich hier nicht essen gehen.
Ich beziehe mein Premium Einzelzimmer und weiß danach auch, warum im Buchungsportal kein Foto vom Badezimmer gezeigt wird. Das ist nämlich 80er-Style, fensterlos und eher nicht Premium. Zum Glück kann ich meine Füße trotz Wanderung noch mehr als 38 cm hoch heben, um in die fabelhaft funktionierende Dusche zu steigen. Aaaah - tut das gut!
Fazit: Alle Gefahren des Tages habe ich gemeistert. Gefährliche Straße überquert, Wolfsgebiet alleine durchwandert, in See mit Ertrinkungsgefahr gebadet. Klasse! Und obwohl nicht gewarnt wurde, bestand beim Frühstücksei sicher Erstickungsgefahr. Check!
Alles in allem ein Spitzentag mit TOP Wetter, prima Aussicht, blendender Laune und fabelhafter Gesundheit und Kondition. Bitte mehr davon!
Länge | Auf | Ab |
---|---|---|
27.8 km | 517 Hm | 645 Hm |