Lübeck, 06.06.2023

Wir frühstücken gemeinsam ausgiebig und etwas später als geplant. Meine Frau fährt jetzt direkt von Marzipanien (Lübeck) nach Marmeladien (Bad Schwartau) um dann noch ein paar Tage Urlaub in Travemünde dranzuhängen.

Ich nehme den Bus und lasse mich zur Herreninsel und durch den Herrentunnel bis zur ersten Station auf der anderen Seite chauffieren. Selbst wenn ich mit dem D-Ticket nichts sparen würde, ist es unglaublich praktisch, einfach ohne Nachzudenken in jedes ÖPNV-Verkehrsmittel einsteigen zu können.

Um Punkt 10 Uhr wandere ich los und freue mich, dass ich gleich in den schattigen Wald entschwinden kann, denn obwohl es angeblich nur 18° hat, brennt die Sonne vom wolkenlosen Himmel. Ich glaube, heute bin ich für jedes Bisschen Schatten dankbar.

Ich bin sehr froh, die UNESCO-Weltkulturerbe-Stadt Lübeck für einen Kultur- und Ruhetag auserkoren zu haben. Zwar war ich schon einmal als Kind hier, erinnerte mich jedoch nur noch an das Marzipan - inzwischen verfüge ich zusätzlich über ein gewisses kulturelles Interesse und bin begeistert, was es alles zu sehen gab. Umso mehr genieße ich es jetzt, wieder für mich alleine durch den Wald streifen zu können.

In der Nähe von Kückritz nutzt eine Klasse etwa 10/11-jähriger Mädchen mit ihrer Lehrerin den schmalen Waldweg während des Sportunterrichts als Jogging-Strecke. „Achtung - ein Wanderer!“, höre ich nur. Die erschreckte Reaktion auf einen frei laufenden Fuchs oder Wolf wäre vermutlich ähnlich. Und das, obwohl ich mich erst gestern rasiert habe. Ich empfinde das als etwas seltsam.

Ich überquere die viel befahrene B75, die zum Herrentunnel führt und seit den 1960ern gegen den Widerstand der Bevölkerung den Ort Kückritz und seine Infrastruktur zweiteilt.

Zur Mittagszeit erreiche ich über einen viel befahrenen Radweg Ratekau. Ich stoße hier in meinen Augen auf einen Wanderer-Jackpot, nämlich einen REWE Markt mit Salat-Theke und direkt daneben einen kleinen Park mit Sitzbänken. Ich habe nicht nur Hunger, sondern auch Wassernachschub dringend nötig, denn ich empfinde es heute als sehr warm und habe schon fast mein gesamtes Wasser ausgetrunken.

In direkter Luftlinie sind es zu meinem Tagesziel höchstens 5 km, aber der E1 macht einen großen Bogen und ich besuche daher zunächst das Wohngebiet dieser immerhin 15.000 Einwohner zählenden Gemeinde, die landschaftlich und kulturell wenig zu bieten hat. Halt ein Vorort von Lübeck.

Im schönen, schattigen Wald verläuft der Weg nun parallel zum Flüsschen Schwartau, leider außer Sichtweite, und der gut hörbaren Schnellstraße. Und zwar exakt nach Süden!
Plötzlich macht der E1 einen Schlenker nach rechts und sicher 20-30 Höhenmeter nach unten. In ein paar Wochen wird man dort unten auf eine nagelneue Brücke über die Schwartau und eine tolle Badestelle treffen. Ich lande heute jedoch inmitten der abgesperrten Brücken-Baustelle. Den Wanderweg zu sperren, hat man offensichtlich vergessen. Der Baggerführer wundert sich vermutlich und lässt mich durch, sodass ich immerhin nicht den gleichen Weg wieder den Hügel hinaufgehen muss.
Endlich biegt der Weg nach Westen ab und entfernt sich von der lärmenden Straße. Etwas unterhalb von mir befindet sich jetzt ein Sumpfgebiet und die stehende Schwartau. Immer wieder hüpfen kleine Fröschlein über den Weg. Futtersorgen müssen sie sich keine machen, denn auch hier gibt es Mücken en masse.

Beim archäologischen Denkmal „Burg im Riesebusch“ überquere ich ein letztes Mal die Schwartau, verlasse den schattigen Wald und erreiche Groß Parin, das geplante Ende der heutigen Etappe. Da der morgige Tag verkehrstechnisch komplex und von der Strecke her lang ist, entscheide ich mich, heute noch ein paar Kilometer dranzuhängen, damit es morgen entspannter wird.

Ich erklimme also den „Pariner Berg“ (72 m) und muss selbstverständlich auch dem 1901 erbauten Bismarckturm einen Besuch abstatten, obwohl der E1 den Schlenker nicht vorsieht. Im Nachhinein bereue ich es, denn da der Turm nicht mit Türen verschlossen ist, wird er von Vögeln als Nistplatz genutzt. Und in einigen Nestern befinden sich noch unausgebrütete Eier. Und da stört natürlich jeder bei der Brut, der bei der den Turm besteigt. Daraufhin rufe ich beim Rathaus an, um nachzufragen, ob das sein muss - und weil da am Dienstagnachmittag natürlich niemand ans Telefon geht, schicke ich eine Mail. Ich bin gespannt, ob und wann ich eine Antwort erhalte.

Ich darf nun 2 km ohne Gehweg und Seitenstreifen auf der Straße wandern. Abgesehen von einem DPD Fahrer, der es offensichtlich lustig findet, absichtlich auf mich zuzuhalten und erst im letzten Moment lachend auszuweichen, verhalten sich die meisten Verkehrsteilnehmer ordentlich. Ich lasse das jetzt lieber unkommentiert.

Beeindruckend sind zwei Sträucher am Straßenrand, die völlig kahl gefressen und stattdessen mit Netzen eingesponnen sind, in denen sich etwa 3 cm lange Würmer befinden. Angeblich kann man dieses Phänomen seit einigen Jahren regelmäßig beobachten und wird dies zukünftig noch häufiger sehen, da das massenhafte Auftreten der Gespinstmotten durch den Klimawandel gefördert wird.

Noch ein Stück durch Wald und Straße und schon bin ich in Rohlsdorf. Ich peile an, welchen Bus ich bekomme. Google meint, für den nächsten Bus sei ich 1 Minute zu spät und müsse eine halbe Stunde in der Sonne warten. Darauf habe ich nur bedingt Lust und nehme die Füße in die Hand. Könnte klappen!
Jetzt ist die Haltestelle nur noch 100 m entfernt und schon kommt der Bus vor mir um die Ecke gebogen. Mist! Zum Glück steht jemand an der Haltestelle. Ich renne los ...
Glücklicherweise war ich ohnehin schon verschwitzt, denke ich, also ich japsend im Bus sitze und nach Lübeck fahre. Geschafft!

Ich checke für eine Nacht im SchickSAAL* ein, einem kollektiv betriebenen, queer-feministischen und anarchischen Projekt. Ich habe ein Bett in dem 10-Bett-Schlafsaal gebucht. Dieser ist sehr liebevoll und „speziell“ eingerichtet. Immerhin hat jedes Bett eine Mehrfachsteckdose direkt am Bett und das WLAN ist schneller als im 4-Sterne-Hotel. Im gesamten Hostel gibt 3 WCs und 4 Duschen - alles natürlich für alle Arten von Menschen gemeinsam. Bei 47 Betten erscheint mir das nicht zu viel.
Die Betten sind bereits bezogen und ein cleveres System lässt erkennen, welches Bett belegt ist und welches frisch bezogen werden muss. Alles wird mir sympathisch und geduldig erklärt. Gegen Spende kann ich mir ein Handtuch aus einem Schrank aussuchen. Ich wähle eines, was vielversprechend aussieht und auch gewaschen riecht.
Leider ist heute Ruhetag (und Kollektivbesprechung) und Frühstück gibt es morgen erst zu einer Zeit, zu der ich schon wieder unterwegs sein möchte. Daher werde ich keine Gelegenheit habe, viel vom „Betrieb“ mitzubekommen.
Alles, was ich bisher gesehen habe, sieht ziemlich alternativ, teilweise kreativ und manchmal abenteuerlich aus, nur bei der Haustür und den Zimmerschlössern ist modernste Hotel-Technik verbaut. Das gibt mir ein gutes Gefühl.
Da ich keine Möglichkeit habe, meine Klamotten zu trocknen, fällt das Wäschewaschen aus. Das muss auch mal gehen.

Zum Abendessen bin ich abermals im „Kartoffelspeicher“ und genieße es.

Länge Auf Ab
25.1 km 178 Hm 178 Hm


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