Schleswig, 21.06.2023
In der Nacht hat es recht heftig geregnet, was mich jedoch nicht davon abgehalten hat, gut zu schlafen.
Um Punkt 7 Uhr stehe ich vor dem nahegelegenen famila-Markt, um dort zu frühstücken. Da ich mich im Land der „halben Brötchen“ befinde, besteht das Frühstück aus zwei ebensolchen, sowie einem Kaffee der Größe „L.“ Als der Kaffee leer ist, gehe ich mitsamt der Tasse an den Tresen und sage, dass ich noch mal gerne einen hätte. Darauf meint die Verkäuferin: „Also ein kleiner Kaffee“. Ich entgegne, dass ich gerne „L“ hätte. Darauf meint sie, dass „L“ klein bedeute. Stimmt - denn es gibt nur „L“, „XL“ und „XXL“. Da muss ich lachen, denn ich stamme noch aus einer Zeit, als man die Leute noch nicht an jeder Ecke für dumm verkaufen wollte. Als ich strahlend entgegne, dass ich das jetzt verstanden hätte und mir nun keine Sorgen mehr um die Größe meiner Hemden machen müsse, denn wenn „L“ klein bedeute, wäre „XL“ ja extra klein, muss sie auch schmunzeln und gibt mir meinen Kaffee.
Ich finde mich überpünktlich an meiner Bushaltestelle ein. Dort prüfe ich penibel den Fahrplan und vergleiche ihn mit der DB-App. Bei einer Bus-Linie, die im Kreis fährt, also am ZOB beginnt und am ZOB endet und bei der im ausgehängten Fahrplan nur die nächsten drei Stationen und das Ziel ausgewiesen sind, ist das irgendwie schwierig.
Zwischenzeitlich kommt ein Bus einer anderen Linie, täuscht einen Halt an und fährt dann einfach durch, vermutlich weil ich nicht enthusiastisch zur Bordsteinkante vorgesprungen bin. Die neben mir stehende, junge, asiatisch aussehende Frau ist zwar schlank und von eher kleiner Statur, doch mit ihrer pinkfarbenen Bluse gut zu sehen. Sie wäre gerne mitgefahren.
Da hilft alles Winken nichts. Weg ist weg.
Sie schaut etwas verzweifelt und eilt zur nächsten Bushaltestelle. Als sie später dort in „meinen“ Bus einsteigt und mich sieht, muss sie lachen und wir wünschen uns beide einen tollen Tag.
An der Badestelle „Selker Noor“ waren tatsächlich drei Frauen schwimmen. Der See sieht verlockend aus und doch ist es mir zu früh und zu kalt. Ich wandere lieber weiter, passiere das Jugendzeltlager und finde mich auf einem wunderschön abwechslungsreichen Weg durch den Wald und auf Holzstegen über den Sumpf. Dass der Weg schön und abwechslungsreich würde, war mir bereits per Schild „Vorsicht gefährliche Wegstrecke“ angekündigt worden. Schön ist es hier in der Natur, mit sporadischem Weitblick in die Landschaft und nach Schleswig.
Der Himmel ist grau und es weht ein kühles Lüftchen, als ich urplötzlich scharf links eine Treppe hinauf steigen soll. Ich verharre kurz, denn hierbei handelt es sich nicht um einen x-beliebigen Hügel, sondern einen Ringwall der Wikinger - konkret den „Halbkreiswall von Haithabu“.
In der Wikingerzeit (8.-11. Jh n.Chr.) bauten diese an der schmalsten Stelle zwischen Nord- und Ostsee eine riesige Wallanlage, bestehend aus Erdwällen, Wehrgräben und einem Seesperrwerk. Dieses als UNESCO-Weltkulturerbe geschützte „Danewerk“ diente neben militärischen Zwecken dazu, den Handel zwischen Skandinavien und dem europäischen Festland zu kontrollieren und Zölle zu erheben. An der zentralen Stelle, an der ich mich jetzt befinde, stand, durch den heute noch 10 m hohen Halbkreiswall geschützt, die frühmittelalterliche Stadt „Haithabu“ als Hauptumschlagsplatz für diesen Fernhandel.
Ende des 11. Jahrhunderts übernahm dann die Stadt Schleswig die Rolle als Handelszentrum und Haithabu wurde verlassen und zerstört. Da das Gebiet von Haithabu nie überbaut wurde, liegt der Großteil (95 %) noch in der Erde vergraben und ermöglicht Kulturhistorikern, sich damit zu vergnügen und zu forschen.
Da ich jetzt schon einmal hier bin, mache ich einen Abstecher zu den Wikingerhäusern von Haithabu, die Teil des Wikinger-Museums sind. Glücklicherweise gibt es einen Audioguide für das Smartphone, denn die Broschüre, die ich nach Bezahlung von neun Euro Eintritt, erhalten habe, finde ich nicht besonders aufschlussreich. Ausgesprochen interessant ist mein Gespräch mit einem jungen Mann aus einer Gruppe mittelalterliche gekleideter Menschen. Sie beschäftigen sich seit Jahren mit dem damaligen Leben und verbringen gerade eine Woche in Wikingermanier (Kleidung, Essen, Handwerk, Leben) im Dorf.
Nachdem sie vor dem Gespräch schon eine Weile beobachtet hatte, schlussfolgere ich jetzt, dass Wikinger traditionell morgens um 10 Uhr plaudernd und entspannt frühstücken. Tolles Leben.
Weiter geht es zum Museum, das, zumindest mit Audioguide, sehr interessant ist. Als ich es nach geraumer Zeit verlasse, ist der Akku des Handys leer und der Kopf voll, denn ich weiß jetzt vieles mehr über die Handelswege, die Stadt Haithabu und über die Schifffahrt der Wikingerzeit. Zudem ist mir jetzt auch klar, warum der Tierschutz sich nicht um das Wohlergehen von Kielschweinen kümmern muss, denn damit sind nicht etwa aus Kiel stammende Schweine gemeint, sondern der Hauptkiel eines Schiffes. Wieder was gelernt.
Nach einer kurzen Wanderstrecke habe ich einen fantastischen Blick auf Schleswig und stehe an einer Bucht im ansonsten schilfbewachsenen Ufer. Wann habe ich mal wieder die Gelegenheit, in der Schlei zu baden, denke ich mir. Also los!
Das Ufer ist sandig und für meinen Geschmack zu flach. Besonders wenn die Badehose nicht „am Mann“ ist, wäre es mir lieber, nicht ewig weit ins Wasser hinein und hinaus waten zu müssen. Die Schlei hat hier eher die Ausmaße eines Sees, sodass der Wind ungebremst darüber pfeift und sogar kleine Wellen erzeugt. Daher verlasse ich das Wasser ziemlich schnell wieder, obwohl das Wasser selbst gar nicht so kalt ist.
Dabei stelle ich mir die Frage, wie es sich mit dem Wasserkreislauf eigentlich verhält. Bade ich in dem gleichen Wasser wie die Wikinger früher? Und wenn nicht, wohin ist es dann verschwunden? Eigentlich kann auf unserem Planeten doch gar nichts verschwinden? Ich merke mal wieder, dass ich eigentlich nichts weiß. Immerhin bin ich mit dieser Erkenntnis in guter Gesellschaft.
Inzwischen bin ich, sicher nicht nur durch das Bad, hungrig geworden und ein EDEKA-Schild lockt mich. Ich verlasse den Weg, besorge mir einen leckeren Salat und ein unleckeres Fischbrötchen und verbringe damit länger als nötig auf den Sitzgelegenheiten im wunderbar windgeschützten Innenhof des EDEKA-Markts. Gleichzeitig grüble ich darüber nach, bis wohin Marketing lustig ist, wann es derb wird und ab wann die Grenze des guten Geschmacks überschritten ist. Die Besitzer namens Fick hatten in der Kindheit wohl oft unter dem Namen zu leiden - nun müssen es stattdessen die Angestellten und Kunden.
(Hintergrund: Die Verkäufer*innen tragen neongrüne Shirts mit dem Aufdruck „Der Beste Fick im Norden“. Rechtschreibung war offensichtlich nicht inklusive, denn sonst stünde dort „Der beste …“).
Durch den Ortsteil Friedrichsberg mit dem herausragenden, 27-stöckigen, blau-weißen "Wikingturm" erreiche ich die Schlossinsel, auf der sich das über die Jahrhunderte immer wieder umgebaute Schloss Gottorf befindet. Heute beherbergt es angeblich die bedeutendsten Museen Schleswig-Holsteins. Ich belasse es dabei, die barocke Nordfassade und die im Außengelände stehende und herumliegende Kunst zu beäugen. Mehr Kultur ist für mich heute definitiv nicht drin.
Über die schöne, von Kastanien gesäumte Schlossallee gehe ich weiter Richtung Barockgarten, wo ich den E1 zur Stadt hin verlasse. Überraschend hügelig ist es in Schleswig und wenn mal wieder Kampfjets durch die Gegend fliegen, auch ziemlich laut - und obwohl es in Stadtnähe eigentlich nicht passieren dürfte, war gestern Abend, als ich gerade auf dem Weg zum Einkäufen war, meiner Meinung zweimal der Knall des Schallmauer-Durchbruchs zu hören. Extrem laut und sehr unangenehm!
Ich finde zwar keine offizielle Meldung dazu, vermute jedoch, dass es mit dem gerade stattfindenden „Air Defender 23“-Luftwaffenmanöver zusammenhängt.
Da ich noch ein mehr von Schleswig sehen möchte, wandere ich die Fußgängerzone entlang zur Altstadt und danach natürlich zum Schleswiger Dom, der leider für heute schon geschlossen ist. Dennoch ist dieses riesige Bauwerk, das für mich als Laien aus verschiedensten Baumaterialien zusammengestückelt wirkt, alleine wegen seiner Größe beeindruckend.
Nun mache ich noch ein kleiner Abstecher zum Hafen, wo ich die heutige Tour beende und im Hafenrestaurant eine Ofenkartoffel mit Krabben und Salat verspeise. Die Tage im Norden sind gezählt - das muss ich ausnutzen.
Heute vor 2 Jahren war übrigens auch Hochzeitstag und ich war auf dem E1 in der Schweiz unterwegs. Deutlich kann mich an die Mega-Etappe vom Kloster Fischingen nach Hurden erinnern. Wie schön, dass mich meine Frau immer meinen Weg gehen lässt.
Länge | Auf | Ab |
---|---|---|
15.5 km | 113 Hm | 131 Hm |