Bad Nenndorf, 14.05.2023
Das in meinen Augen viel, viel zu weiche Bett ist so ziemlich das Letzte, was sich mein Rücken gewünscht hat. Dennoch habe ich zwischendrin sehr tief und fest geschlafen.
Ich frühstücke also mein Müsli und packe meinen Rucksack. Weil das Wetter so toll ist, dass ich nur mit Hemd und Hose wandern kann, ist er maximal beladen. Und jetzt ist er ist voll. Bin ich froh, dass ich die Daunenjacke doch zu Hause gelassen habe.
Als ich um zehn vor neun die Wohnung im ersten Stock verlasse, überlege ich dreimal, ob ich wirklich alles habe und ob ich die Tür zuziehen und den Schlüssel vereinbarungsgemäß drin liegen lassen kann. Ich tue es und stehe eine knappe Minute später vor der verschlossenen Haustür und bin im Treppenhaus gefangen. Raus komme ich nicht und zurück in die Wohnung, wo der Schlüsselbund mit dem Haustürschlüssel liegt, auch nicht. Mist! Hätte ich mich doch auf mein Gefühl verlassen und das vorher überprüft. Nun darf ich bei der Vermieterin klingeln und sie aus dem Bett werfen. Blöd gelaufen.
Durch den Kurpark, vorbei am prunkvollen Grand Hotel Esplanade, wandere ich aus Bad Nenndorf hinaus. Zum Glück merke ich schon bald, dass ich vergessen habe, die Aufzeichnung des Tracks auf meiner Uhr zu starten. Jetzt fehlen mir 750 m und es ergibt sich eine theoretische Lücke im E1 – ich kann damit leben.
Als ich Waltringhausen durchquere, bemerke ich den seltsamen Glockenturm und lese die Geschichte der 1786 gegossene Glocke. Besonders erfreuen mich die schönen Backstein- beziehungsweise Klinker verzierten Häuser und die schönen, blühenden Gärten. Ich bin jetzt wohl ganz offiziell in Norddeutschland.
Da ich mir von Ortsnamen nichts vorschreiben lasse, wandere ich jetzt gemütlich wie immer nach Haste. Auf dem Weg dahin kann ich mir schon mal in Ruhe die riesige, 120 m hohe Abraumhalde des Kaliwerks Sigmundshall in Bokeloh anschauen, das circa 5 km südlich des Steinhuder Meers liegt. Dahin möchte ich also.
Auf einen schnurgeraden Feldweg folgt ein schnurgerader Waldweg. Kilometerweit. Dann freut sich eine Straße, passiere eine Kläranlage und plötzlich ist der Weg weg. An einem Baum ist noch eine Markierung und so suche ich mich von Markierung zu Markierung durch den Wald, um umgefallene Bäume, durch Brennnesselfelder. Selbst das GPS weiß nicht mehr, wo ich bin. Zum Glück sind hier noch ein paar Markierungen. Und dann stehe ich plötzlich im Wohngebiet von Haste. Sehr merkwürdig.
Weiter geht es auf schnurgeraden Waldwegen bis zum Mittellandkanal, den ich erst überquere und ihm dann folge. Die Füße laufen auf Autopilot - alles gerade, eben und zum Glück nicht geteert.
Am Jachthafen kehre ich im Restaurant „Schatzinsel“ ein. Einziges vegetarisches Gericht, vom Kuchen abgesehen, sind Pommes. Nichtmal Salat gibt es. Also freue ich mich über eine Portion Matjes auf der Terrasse mit schönem Blick über den Hafen. Außer zwei Riegeln für den „Notfall“ habe ich nämlich nichts dabei, weil ich wusste, dass ich hier einkehren kann.
Während ich so dasitze, komme ich nicht umhin, zu beobachten, wie es Menschen gelingt, bei strahlendem Sonnenschein in idyllischer Landschaft zu sitzen, offensichtlich finanziell ausreichend ausgestattet, um hier einzukehren und sich selbst schlechte Laune zu machen, indem über Politik diskutiert wird. Faszinierend! Krieg, Elend, Korruption etc. ist wichtiger, als den Moment zu genießen. Und die Themen werden nicht kurz gestreift, sondern während meines ganzen Aufenthalts gewälzt. Nur während des Kauens ist mal einen Moment Ruhe.
„Nach dem Essen sollst du ruhen, oder tausend Schritte tun“. Die Wahl fällt mir nicht schwer und so befinde ich mich schon bald wieder auf dem E1 und schnell bei der Sigwardskirche in Idensen. Diese ist auch wieder eine ganz besondere Kirche, allerdings habe ich nicht verstanden, warum. Was mich riesig freut, ist, dass eine fantastische und saubere Toilette existiert. Fast fühle ich mich in die Schweiz zurückversetzt, denn hier in Deutschland finde ich das viel zu selten.
Inzwischen bin ich dem Kaliberg Bokeloh schon sehr nah gekommen. An den Stellen, an denen er weiß, in der Sonne glänzt, mutet er wirklich ein wenig wie ein Gletscher an. Wird dies in Zukunft einer der Orte sein, an denen wir unseren Kindern und Enkeln erklären, dass so einmal Gletscher ausgesehen haben?
An wunderschön blühenden Rapsfeldern entlang erreiche ich ein Waldstück und denke, ich spinne, denn plötzlich fallen etliche Mücken über mich her und beginnen, sofort zu stechen. Darauf bin ich nicht vorbereitet. Da hilft nur Zuschlagen und schneller laufen. Ich hoffe, das geht jetzt nicht so weiter.
Als ich die Ortschaft Hagenburg erreiche, ist der Spuk vorbei, meine Arme und Beine sind aber dennoch ziemlich zerstochen.
Am „Försterteich“ am Ortsausgang bewundere ich die jungen Gänse und höre den Fröschen beim Quaken zu. Ziemlich laut! So schön das Quaken auch klingt, direkt vor meinem Schlafzimmerfenster möchte ich es dennoch nicht haben.
Am „Hagenburger Kanal“ ist es so schön, dass ich mich von einer Sinnesbank zur Pause einladen lasse. Die Sonne brennt so stark vom Himmel, dass es mir schon fast zu warm ist. Die Gänse ziehen gemächlich mit ihren Jungen ihre Bahnen im Gewässer. Abgesehen von den Radfahrern, die direkt hinter meiner Bank vorbeifahren, herrscht absolute Ruhe.
Ich ziehe meinen Hut tiefer ins Gesicht und entspannte mich … als ich nach einer halben Stunde wieder aufwache, bin ich nass geschwitzt und brauche einen Moment, um mich zu orientieren. Da ich so ruhig dagelegen habe, hat sich ein Gänsepaar mit sieben Küken ganz dicht an meine Bank herangewagt und ich kann jetzt aus nächster Nähe beobachten, wie sie die Grashälmchen auszupfen und fressen und wie kleine Wollknäuels in der Wiese rumkullern.
Ich könnte vermutlich unbegrenzt lange hier sitzen und zuschauen. Ich habe allerdings noch 4 km zu gehen und in Anbetracht der Tatsache, dass mein Schlüssel um 18 Uhr abgeholt sein muss, gehe ich dann doch irgendwann mal weiter.
Bekannt war mir, dass das Steinhuder Meer der größte See Nordwestdeutschlands ist. Wie schönes hier ist, sehe ich erst jetzt mit eigenen Augen. Und weil es hier so schön ist, sind auch noch ganz viele andere Menschen hier, um es zu genießen. Das macht es nur bedingt schöner.
In Steinhude am Hafen tanzt der Bär. Hier hole ich den Schlüssel für meine Unterkunft ab, die sich 450 m weit entfernt befindet. Leider gibt es das Frühstück auch hier am Hafen und das erst ab 8 Uhr. Ich bin nur mittelmäßig begeistert, denn dadurch werden meine komplette Bad- und Anzieh-Routinen durcheinander gebracht.
In der Unterkunft habe ich, vermutlich aus Kostengründen, ein Zimmer mit externem Bad gebucht. Ich darf jetzt also immer über den Flur, um ins Bad zu gelangen. Das ist ja gar nicht schlimm. Was ich nicht bedacht hatte war, dass ich jedes Mal Bad und Zimmer auf- und zuschließen muss. Und das nervt gewaltig. Und doch schaffe ich es, zu Duschen und meine Sachen zu waschen und dann am Hafen eine Kleinigkeit Abend zu essen. Da das Fest vorbei ist, gibt es keine laute Musik mehr und die Tagesgäste trollen sich auch, denn es ist Sonntag. Ich bekomme mehrfach mit, wie sehr die Leute sich auf morgen freuen.
Fazit: Auch ein unechtes Meer kann schön sein.
Länge |
Auf |
Ab |
27.9 km |
65 Hm |
131 Hm |